Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
Vom Netzwerk:
die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.«
    Die Augen des Johannes leuchteten auf, Philipp warf einen herausfordernden Blick auf Natanael, als wollte er ihn fragen: Na, was sagst du jetzt? Wer hatte recht, du oder ich?

    *

    Und am nächsten Tage fand eine Hochzeit statt zu Kana in Galiläa, Jesus und seine Jünger waren geladen.

Wasser und Wein
    (Brief des Judas)

    Lieber Vater,
    wundere Dich bitte nicht, wenn statt meiner Person nur ein Brief von mir bei Dir eintrifft. Meine Heimreise ist längst überfällig. Ich weiß, Du brauchst mich dringend im Geschäft. Aber wenn Du erfährst, was mich mit aller Macht in Galiläa zurückhält, verstehst Du mich bestimmt. Ich sehe Dich lächeln und Mutter noch mehr... Irrtum, Vater, es handelt sich um kein Mädchen, es handelt sich um den Messias. Nun lachst Du womöglich, und Mutter schüttelt den Kopf, weil ich noch immer nicht aus dem Knabenalter heraus bin und geschickten Schwindlern auf den Leim gehe. Wartet ab! Oder habt Ihr in Jerusalem den Namen Jesus von Nazareth doch schon gehört? Eigentlich müßten sich seine Taten in Windeseile herumgesprochen haben: Lahme gehen, Blinde sehen, Aussätzige werden rein, und es dauert nicht mehr lange, dann stehen Tote auf. Aber ich kenne den Hochmut der Hauptstadt. Was sich in der Provinz abspielt, zählt für sie nicht. Ein Schluckauf des Hohenpriesters und ein Rülpser des Pilatus erschüttern sie mehr als jedes Donnergrollen überm See Genesareth. Aber sie wird sich wundem, die arrogante Dame Jerusalem, und sich auf den Bauch werfen vor Angst, wenn dieser Messias vor ihren Toren erscheint. Noch sammelt er seinen Anhang nur in Galiläa, wandert von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus, um die Kranken zu heilen. Aus allen Dörfern schleppen sie sich zu ihm oder lassen sich hintragen. Und wie er predigt — nicht wie unsere geistlichen Profis in der Stadt über die Köpfe hinweg, gespickt mit Zitaten, gepfeffert mit Drohungen und einem den Klingelbeutel vor die Nase haltend. Jesus erzählt meistens nur Geschichten, Geschichten von der Liebe Gottes, und ihm glaubt man sie. Ihm würde ich alles glauben.
    Dieser Jesus war seit kurzem das Tagesgespäch im Hügelland von Galiläa. Seine ungewöhnlichen Predigten lockten Tausende in die Synagogen. Sogar von Heilungen, die medizinisch nicht erklärbar seien, wurde gemunkelt und von dem größten Fischzug des Jahrhunderts, der auf sein Geheiß gelungen sei. Sicher übertrieben, die Gerüchte, wie immer, doch meine Neugier war geweckt. Wie arrangiere ich es nur, ihn persönlich kennenzulernen? Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Peres — er läßt Euch alle herzlich grüßen — hatte zur Hochzeit seines Jüngsten auch die Mutter dieses Jesus eingeladen, weil sie um drei Ecken herum mit der Braut verwandt war. Ich überredete ihn, auch Jesus einzuladen. — Das wird die beste Reklame für deinen Fuhrbetrieb! — Er akzeptierte.
    Eines hatte Peres allerdings nicht einkalkuliert: daß Jesus nicht allein kam, sondern ein halbes Dutzend seiner Anhänger mitbrachte und diese wiederum einen Appetit, als hätten sie wochenlang nur an Fischgräten geknabbert und Seewasser geschlürft.
    Ich saß Jesus schräg gegenüber. Ich hatte mir eine Art Überjohannes vorgestellt. Freilich, Johannes hätte jede Einladung zu einer Hochzeit ausgeschlagen und wäre sich wohl auch unter lustigen Festgästen vorgekommen wie ein finsterer Rabe unter lauter Lachtauben. Beim ersten Bissen gepfefferter Lammkeule hätte sein Magen rebelliert, beim ersten Schluck Rotwein seine Galle. Anders Jesus. Auf den ersten Blick entdeckst du nichts Prophetisches an ihm, so normal wirkt er. In Jerusalem würde ich an ihm vorbeilaufen und ihn überhaupt nicht beachten. Am ehesten würde man ihn als einen Handwerker mit höheren Interessen einschätzen. Er soll ja auch bis vor kurzem in der väterlichen Tischlerei gearbeitet haben.
    Sein Aussehen riß mich also nicht gerade vom Stuhl. Doch was zählt das Aussehen? Auf den Geist kommt es an und auf die Taten. Und je länger man ihn beobachtet und reden hört, desto stärker fasziniert dieser Geist. Mich hat er übrigens auch eindringlich gemustert, aber nicht so, daß es peinlich gewesen wäre, im Gegenteil.
    Vielen Gästen mag es wie mir ergangen sein. Wir erwarten jeden Augenblick, daß er sich erheben, einen ganz besondern Glückwunsch für das Brautpaar vortragen und dann zu einer, sagen wir mal programmatischen Rede ansetzen werde. Nichts von alledem. Er

Weitere Kostenlose Bücher