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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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besser aus als du. Das war Erkennen auf den ersten Blick, verstehst du? Erkennen! Ich erkannte, das ist genau der Mensch, auf den ich gewartet habe, wenn er auch ganz anders ist, als ich erwartet habe ; denn auf den, der er ist, habe ich überhaupt nicht gewartet. Ist das klar genug?«
    »Völlig klar«, spottete Natanael. »Der Unsinn, den du daherredest, ist eines Philosophen würdig.«
    »Findest du auch?« Philipp hatte Natanaels Spott gar nicht wahrgenommen. »Daran muß auch der Rabbi schuld sein, daß ich plötzlich so tiefsinnige Sätze von mir gebe.«
    »Sag lieber: schwachsinnige Sätze.«
    »Meinetwegen.« Philipp gehörte zu den Menschen, die man nicht beleidigen kann. »Ein gelehrtes Haus wie du muß es wissen. Ich frage mich nur, warum er dann nicht zuerst mit dir gesprochen hat. Eure Konversation hätte sich natürlich auf einem weit höheren Niveau bewegt als unsere. Er hätte womöglich von dir profitieren können, der Messias.«
    Natanael schien ernstlich verstimmt. »Bitte, nenne ihn nicht Messias, sag Rabbi oder Zimmermann! Wahrscheinlich gehört er zu einer schwärmerischen Sekte in Samaria. Oder hat er dir gar einen Beweis für seine Messiaswürde geliefert?«
    »Mir nicht, aber dem Johannes und dem Andreas. Haben sie noch nichts erzählt? Als sie am Jordan dem Täufer zuhörten, kam dieser Rabbi vorbei. Da zeigte der Täufer auf ihn und sagte: >Das ist der, der kommen soll, für den ich den Weg bereite. Er ist es, der eher war als ich. Ich habe gesehen, wie der Geist Gottes auf ihn niedergestiegen ist.« Bist du jetzt überzeugt?«
    Eine Weile sagte Natanael nichts. Philipp zerbiß die letzte Nuß und spuckte die Schale auf den Boden.
    »Woher stammt de nn dein Rabbi?« fragte Natanael.
    »Aus Nazareth, hat er mir gesagt.«
    »Aus Nazareth?« wiederholte Natanael triumphierend. »Jetzt lieferst du mir selber den Beweis, daß es niemals der Messias ist. Wie kann der aus diesem elenden Nest Nazareth kommen, aus dem noch niemals etwas Gutes kam?«
    »Aha, du studierst wohl nebenbei Statistiken über den moralischen Zustand der Gemeinden?« fragte Philipp spitz. »Da brauche ich keine Statistiken. Den schlechten Ruf der Nazarener kennt jeder hierzulande. Außerdem, hör gut zu, wird der Messias, der Schrift zufolge, in Judäa, in Bethlehem geboren, Micha, fünftes Kapitel, Vers eins bis drei.«
    »Das sagt die Schrift. Aber dein Freund Philipp sagt dir, daß der Messias aus Nazareth stammt. Wem glaubst du mehr?«
    »Der Schrift natürlich. Kannst du da zweifeln?«
    »Und wann hat dich Philipp je angelogen?«
    »Niemals, wissentlich niemals. Doch du kannst dich in bestem Glauben täuschen. In deinen Freundinnen hast du dich jedenfalls oft getäuscht.«
    »Wie witzig du heute bist, Natanael! Doch kürzen wir den Streit ab, komm mit mir und sieh ihn dir selber an. Er unterhält sich vorn am Fischmarkt mit den Leuten.«
    »Geh lieber du, ich leih dir meine kritischen Augen, vielleicht ernüchtert dich das.«
    »Du hältst mich offenbar wirklich für einen hirnlosen Phantasten?«
    »Ich weiß, wie leicht du zu entfla mm en bist, Philipp. Heute entzückt, morgen geknickt!«
    Philipp knallte mit dem rechten Fuß ein paar Kiesel gegen die Mauer. Dann sagte er: »Nat, du bist feige — oder maßlos inkonsequent. Es widerspricht doch deiner wissenschaftlichen Arbeitsweise, ungeprüft ein Urteil zu fällen. Du kannst doch jetzt nicht plötzlich so oberflächlich handeln wie ich.«
    Natanael entfuhr ein tiefer Seufzer. »Du hast gewonnen.« Er stand auf. »Gehen wir also, deine jüngste Eroberung zu grüßen!«
    Sie brauchten gar nicht bis zum Fischmarkt zu gehen. Kurz hinter dem Tor stand Jesus im Gespräch mit Andreas und Johannes. Als Jesus Natanael erblickte, rief er aus: »Schaut hin, da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falsch.« Bravo, gratulierte ihm Philipp im stillen, du bist ein Seelenkenner, Rabbi, du verstehst die Leute zu nehmen. Du zapfst das Fäßlein seiner Eitelkeit an, und schon strömt es. Natanael fragte: »Kennst du mich denn?«
    Jesus antwortete: »Bevor Philipp dich rief, habe ich dich unterm Feigenbaum gesehen.« Philipp knuffte den Freund in die Seite und raunte ihm etwas zu. Der achtete aber nicht darauf, sondern verbeugte sich tief: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der Messias!«
    »Du glaubst, weil ich dir gesagt habe, daß ich dich unter dem Feigenbaum sah. Du wirst noch Größeres sehen«, sagte Jesus und wandte sich dann an alle: »Ihr werdet den Himmel offen und

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