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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Jahren Wunderdinge erzählen. Ich witzelte, er solle bescheiden bleiben und erst mal neun Monate abwarten. Jetzt, völlig ernüchtert, ist mir das Witzeln vergangen.
    Stell Dir bitte leibhaftig vor, was da geschehen war: Dieser Jesus hat auf Bitten seiner Mutter, wie ich später hörte, sechs große Krüge voller Wasser in besten Wein verwandelt. Und nicht nur diese sechs Krüge, sondern auch mich. Darum folge ich ihm. Ich glaube, ich bin der einzige in der Schar seiner Anhänger, den er dazu nicht aufgefordert hat. Aber er hat mich nicht abgewiesen, als ich mich unter seine Freunde mischte. Denen war ich nicht auf Anhieb sympathisch, doch das wird sich bald ändern, wenn sie merken, daß sie einen weitläufigen Mann gut brauchen können, die naiven Jungs von der galiläischen Badewanne.
    Ich weiß, was Du denkst. Ich sehe Dich vor mir, ein spöttisches Lächeln auf den so schmalen Lippen, und höre Dich sagen: Schlaf erst mal deinen Rausch aus, mein Bester, bevor du mir solche Märchen auftischst. Es sind keine Märchen! Den Hochzeitsrausch habe ich überstanden ; schließlich fand das Wunder vor drei Tagen statt. Wunder, jawohl, Wunder! Hundert Zeugen könnte ich beibringen, vom Synagogenvorsteher bis zum Bürgermeister. Und wenn Du meinst, die zählen nicht, weil sie genauso bezecht gewesen seien wie alle anderen Gäste, so erkundige Dich bei den Dienern. Sie durften nichts trinken und hielten ihre fünf Sinne beisammen.
    Trotzdem hast Du recht, ich bin berauscht, berauscht von diesem Jesus von Nazareth. Das ist ein Mann, nicht wie der düstere Prediger am Jordan, der Katastrophen und Strafgerichte ankündigt. Nein, wenn Jesus vom Reich des Messias spricht, verheißt er ein Hochzeitsmahl ohne Ende. Und er drischt nicht auf die armen Sünder ein, er heilt sie. Sein Blick vernichtet nicht, sein Blick zieht alle zu sich heran und empor. Und das muß auch so sein, wenn er gekommen ist, das Reich Israel wiederaufzurichten. Er muß die Massen um sich scharen, sie unlösbar mit sich verbinden. Nur dann, Vater, nur dann kann gelingen, wonach sich unser ge-demütigtes Volk seit Jahrhunderten sehnt. Und ich hoffe, daß Du Dich nicht ausschließen wirst.

    PS. Ich hob den Brief absichtlich noch ein paar Tage auf, um abzuwarten, ob ich nicht doch manchen begeisterten Satz durchstreichen müßte. Nicht einen, Vater! Fester denn je bin ich entschlossen, bei Jesus zu bleiben. Antworte mir bitte vorläufig nicht. Dein Brief würde mich kaum erreichen. Wir ziehen durchs Land, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, von Wunder zu Wunder, scheinbar planlos, aber ich vermute eine kluge Strategie dahinter. Und mit uns zieht die Freude, die Begeisterung. Jeder Tag wird uns zum Fest. Einen solchen Frühling hat Galiläa noch nie erlebt.

    Und am allerwenigsten Dein Dich liebender Sohn
    Judas

ZWISCHENSPIEL IN EPHESUS (I)

    »Ja, die Hochzeit von Kana«, sagte Johannes, »die Erinnerung daran verdient einen kräftigen Schluck. Hol mal bitte den Krug Rotwein aus der Hütte und zwei Becher.«
    »Ich brauche keinen«, erwiderte Poly.
    »Der wahre Sportler trinkt nur Milch und Wasser, nicht wahr! Und Ausnahmen sind nicht einmal der Hochzeit von Kana zuliebe erlaubt!«
    »Konsequent sein ist alles«, sagte Poly. Dann brachte er dem alten Apostel einen Becher Wein aus der Hütte, für sich ein Glas Wasser.
    Johannes hob den Becher in die Abendsonne. »Prost auf Kana! Es war der glanzvolle Auftakt für die Musik der nächsten Wochen, unvergeßlich für alle, die dabei sein durften .«
    »Und die davon hören. Prost!«
    Poly leerte das Glas in einem Zug, Johannes trank langsam, mit der Würde und der Kennerschaft des Alters.
    »Mich wundert nur, warum die anderen Evangelisten gar nichts von der Hochzeit berichten«, sagte Poly.
    »Ganz einfach, weil sie nicht dabei waren. Sechs von den späteren zwölf fehlten noch; sonst wäre der Wein noch früher ausgegangen. Übrigens, gar so ungesittet haben wir uns nicht betragen, die Anwesenheit des Meisters bremste unseren Appetit beträchtlich. Wir wollten ihn schließlich nicht blamieren. So viel Feingefühl besaßen wir doch, auch wenn wir sonst nur Kroppzeug waren.«
    » Kroppzeug?« Poly erinnerte sich nicht, im Naturkundeunterricht davon gehört zu haben.
    »Kroppzeug ist das, was der Fischer wieder wegwirft, zappelndes, leichtverderbliches Jungfischvolk. Im Gegensatz zu den Hechten zum Beispiel. Hechte bringen den Fischern das meiste Geld. Die kannst du in den Hotels von Tiberias um drei

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