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Zwölf im Netz

Zwölf im Netz

Titel: Zwölf im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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benahm sich wie ein Gast unter hundert anderen Gästen, abgesehen davon, daß er weniger trank und weniger tanzte als seine Begleitmannschaft. Hoch ging's her, das sag ich Dir. Der süffige Wein, hastig getrunken, was bei der Hitze kein Wunder war, stieg dem Fischervölkchen gefährlich rasch in den Kopf. Ich bekam schon Angst, sie würden anfangen, ihre krachledernen und keineswegs für zarte Brautjungferohren bestimmten Seemannslieder zu grölen, zwanzig Strophen lang, oder sie könnten in Streit geraten und die halbe Einrichtung zertrümmern.
    Unter ihnen befinden sich auch zwei kräftige Burschen, die sie die Donnersöhne nennen. Wo die zuschlagen, wächst kein Gras mehr. So weit würde es hoffentlich nicht kommen, aber Du weißt ja, was bei Hochzeitsfeiern auf dem Lande möglich ist. Der jüngere der beiden, Johannes, ein aufgeweckter Knabe, wenn's am gesellschaftlichen Schliff auch noch gewaltig hapert, wollte zu Ehren der hübschen Braut ein Gedicht vortragen, angeblich ein selbstverfaßtes. Doch die Verse purzelten so heillos durcheinander, daß er es für gescheiter hielt, den Becher zu heben und der Braut zuzuprosten. Zum zwanzigsten Mal wahrscheinlich. Sein Becher war aber leergetrunken, er rief einen Diener, ihm nachzuschenken, der schüttelte den Kopf, gab die Bestellung weiter zum nächsten, der zuckte die Achseln und lief zum Speisemeister. Dieser raufte sich den Bart. Pech! Es war nichts mehr zum Nachschenken da. Der Wein war alle. Weggesoffen!
    Peres sackte die Kinnlade herunter vor Schreck. Seine Großzügigkeit rächte sich. Aber hätte er ahnen können, daß diese Fischer einen Durst wie die Maurer mitbringen würden? Hinausschmeißen konnte er sie auch nicht — Gäste sind Gäste. Und sie hatten sich bisher ganz zivilisiert benommen. Doch was würden sie anstellen, wenn sie auf dem
    Trockenen saßen? Eine Weile ließ sich die peinliche Situation noch kaschieren, mancher Becher war noch zur Hälfte gefüllt. Wir in Jerusalem hätten schnell zur nächsten Weinhandlung geschickt. Aber wo zaubert man in diesem Nest Kana eine Weinhandlung her?
    Mein Blick suchte Jesus. Ob er Rat wußte? Irgendwie mußte er sich ja mitverantwortlich fühlen. Doch ich entdeckte ihn nicht. Hatte er sich aus dem Staub gemacht? War es ihm zu lärmend und ausgelassen, zu »unprophetisch« zugegangen? Oder schämte er sich für den kapitalen Appetit seiner Freunde, die zugelangt hatten, als feierten sie alle miteinander Geburtstag?
    Seine Mutter, eine stille, unauffällige Frau, schien etwas nervös, blickte fortwährend gespannt zur Tür. Und tatsächlich erschien da plötzlich der, auf den sie anscheinend gewartet hatte: der Speisemeister, feixend von oben bis unten, schwankend von rechts nach links, bis es ihm endlich gelang, an den Türpfosten gelehnt geradezustehen und Schweigen zu gebieten. Und jetzt, ihr Zecher, lallte er, 'ran an den Jahrhundertwein!
    Gelächter, Pfiffe, Buhrufe quittierten diese entgleiste Ankündigung. Sauf deine saure Soße selber! Her mit dem letzten Gift! und so weiter. Du kennst ja diese geistreichen Sprüche. Alle glaubten natürlich, daß der Restbestand an Wein mit Brunnenwasser gestreckt worden war, wie man das gerne tut, wenn die Gäste so besoffen sind, daß sie's gar nicht mehr merken. Hauptsache, es rinnt was durch die Gurgel.
    Der Speisemeister grinste immer unverschämter und hielt sich den dicken Bauch vor Lachen. Probiert nur, Leute, probiert! Und er ließ durch die Kellner, die noch mehr feixten als er, zuerst dem Brautpaar einschenken. Der Bräutigam kostete vorsichtig — und er, noch eben rot vor Scham, wurde blaß vor Staunen, die Braut verschluckte sich vor Schreck und wäre uns fast erstickt. Es mußte doch was dran sein an dem Jahrhundertwein! Alle streckten den Kellnern die Becher hin und leerten sie in einem Zug, ein, zwei, dreimal — und manche noch öfter im Laufe des Abends. Hundert Liter wollen getrunken sein. Der Bräutigam lud ganz Kana ein, und so zechte zu später Stunde das halbe Dorf in seltener Eintracht und trauter Brüderlichkeit.
    Frag mich nicht, ob etwas übrigblieb. Frag mich nicht, wann Jesus heimgegangen ist. Daß seine Jünger gegangen sind, wage ich zu bezweifeln, wahrscheinlich mußten sie nach Hause getragen werden. Ich warf mich irgendwo auf ein Polster — oder war's der Bauch des fetten Speisemeisters? — und schnarchte wie bewußtlos bis in den späten Vormittag. Peres sagte stolz zum Abschied: Von dieser Hochzeit wird man noch nach hundert

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