Zwölf Jahre Ein Sklave: 12 Years a Slave (Gesamtausgabe) (German Edition)
zwanzig Jahren. Sie ist die Schönheit und Pracht des Bayou Boeuf. Sie besitzt fast hundert Erntehelfer, einige Hausdiener, Hofjungen und jüngere Sklavenkinder. Ihr Schwager, der nur eine Plantage weiter wohnt, ist ihr Generalbevollmächtigter. Sie wird von all ihren Sklaven geliebt, und diese haben auch allen Grund dankbar dafür zu sein, in so sanfte Hände zu geraten. Nirgendwo im Bayou gibt es solche Feiern, solche Freude wie bei Madam McCoy. Es gibt keinen begehrteren Ort, an dem sich die Alten und die Jungen zur Weihnachtszeit treffen als dort; nirgendwo sonst gibt es köstlicheres Essen; nirgendwo sonst gibt es freundlichere Worte als dort. Niemand ist so beliebt und belegt so viel Platz in den Herzen tausender Sklaven als die junge Madam McCoy, die Waisenherrin des alten Norwood Anwesens.
Als ich ankam waren bereits zwei- oder dreihundert Sklaven versammelt. Der Tisch war in einem langen Gebäude aufgebaut worden, das die Herrin extra für den Tanz der Sklaven errichten hatte lassen. Er war gedeckt mit jedem erdenklichen Gericht, das diese Gegend hergab. Schnell war man sich unter lautem Beifall einig, dass dies das feinste und ausgesuchteste aller Mahle war. Gebratener Truthahn, Schwein, Hühnchen, Ente, viele andere Sorten Fleisch, gebacken, gekocht oder gebrüht, standen in einer Linie entlang des gesamten Tischs. Dazwischen fanden sich Törtchen, Biskuits, glasierter Kuchen und Pasteten. Die junge Herrin ging um den Tisch herum, fand für jeden ein nettes Wort und schien den Tag außerordentlich zu genießen.
Als das Mahl zu Ende war schob man die Tische zur Seite, um Platz zu machen für die Tänzer. Ich stimmte meine Geige und spielte eine lustige Weise; während einige einen flinken Tanz begannen "klopften" andere, sangen ihre einfachen und melodiösen Lieder und füllten den Raum mit dem Klang menschlicher Stimmen und dem Klappern vieler Füße.
Am Abend kam die Herrin zurück und sah uns lange in der Tür stehend zu. Sie war exzellent gekleidet. Ihre dunklen Haare und Augen standen in starkem Kontrast zu ihrer gesunden und lieblichen Gesichtsfarbe. Ihre Figur war schlank aber Achtung gebietend und ihre Bewegungen eine Mischung aus ungekünstelter Würde und Grazie. Als sie so in ihrem prachtvollen Kleid dastand, ihr Gesicht beseelt von ihrer Freude, dachte ich, dass ich noch nie ein menschliches Wesen gesehen hatte, das auch nur halb so schön war. Ich beschreibe diese schöne und liebevolle Frau mit Freude, und zwar nicht nur weil sie mich mit Gefühlen der Dankbarkeit und Bewunderung erfüllt, sondern auch damit der Leser versteht, dass nicht alle Sklavenhalter am Bayou Boeuf wie Epps, Tibeats oder Jim Burns waren. Manchmal, wenn auch selten, findet man auch einen guten Mann wie William Ford darunter - oder eben einen Engel der Güte wie Madam McCoy.
Am Dienstag endeten die drei Feiertage, die Epps uns jährlich gewährte. Als ich mich Mittwochmorgen auf den Heimweg machte, passierte ich die Plantage von William Pierce. Der Gentleman grüßte mich und sagte, dass William Varnell ihm eine Nachricht von Epps überbracht hatte die ihm erlaubte, mich noch eine Nacht bei ihm zu behalten, um für seine Sklaven aufzuspielen. Es war das letzte Mal, dass ich einem Sklaventanz an den Ufern des Bayou Boeuf zusehen musste. Die Party bei Pierce dauerte bis weit in den nächsten Morgen. Danach kehrte ich zurück zum Anwesen meines Herrn – etwas erschöpft vom wenigen Schlaf aber erfreut, dass ich nun wieder in Besitz von etwas Geld war, das mir die Weißen, denen meine musikalischen Darbietungen gefallen hatten, zugesteckt hatten.
Am Samstagmorgen verschlief ich das erste Mal seit vielen Jahren. Als ich aus der Hütte kam war ich erschrocken, dass alle Sklaven schon auf dem Feld waren.
Sie waren mir etwa fünfzehn Minuten voraus. Ich ließ mein Mittagessen und meine Kalebasse mit Wasser zurück und folgte ihnen, so schnell ich konnte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber Epps war bereits auf dem Vorplatz, als ich die Hütte verließ. Er schrie mir zu, dass ich zu einer recht angenehmen Tageszeit aufgestanden sei. Dank einer gehörigen Anstrengung war meine Reihe nach dem Frühstück die führende. Das war aber natürlich keine Entschuldigung dafür, dass ich verschlafen hatte. Nachdem ich mich ausgezogen hatte und am Boden lag verabreichte er mir zehn oder fünfzehn Peitschenschläge. Als er fertig war fragte er, ob ich mir nun vorstellen könne auch irgendwann morgens
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