Zwoelf Schritte
Seelenheil und meine Genesung zu denken. Den Kaffee trinke ich im Bademantel und schaue nach, wann das nächste Meeting bei der gläubigen Gruppe stattfindet, heute Abend um neun. Die Kartoffeln kochen, während ich mich anziehe. Als sie fertig sind, vermenge ich sie mit einer kleingehackten Zwiebel und Ei, salze großzügig und brate alles zusammen in der Pfanne. Ich gebe Knoblauchsauce dazu, tröpfle etwas Öl darüber und dekoriere die Tortilla mit Salatblättern. Während ich esse, schaue ich mir die Nachrichten an und fühle mich erleichtert, dass nichts über den Mordfall kommt. Wahrscheinlich klingt das Interesse der Medien langsam ab.
Die Dusche, der Kaffee und die Mahlzeit scheinen einen Einfluss auf die Kopfschmerzen zu haben, denn sie haben deutlich nachgelassen, als ich mit vollem Magen die Hverfisgata hinuntergehe. Es hat erneut getaut, sodass die Straßen nicht mehr vereist sind, und der feuchte Wind ist erträglicher als der beißende Frost der letzten Tage. Es ist angenehm, in den warmen Versammlungssaal einzutreten. Es sind heute Abend weniger Leute da als letztes Mal. Unter den anwesenden Frauen entdecke ich Fríða, die etwas weiter vorne im Saal auf einem Klappstuhl sitzt.
«Ich habe beschlossen, die Herausforderung anzunehmen und mehr Meetings auszuprobieren», sage ich und setze mich zu ihr.
«Schön, dich zu sehen», begrüßt sie mich lächelnd. Mein Blick bleibt auf dem Grübchen in ihrer Wange haften, worauf ein Verlangen meinen Körper durchströmt, am liebsten würde ich ihr die Wange streicheln. Wie sich das Grübchen wohl anfühlt? Das Gefühl dauert nur kurz, genauso lang wie ein elektrischer Impuls, und vergeht noch schneller als das Verlangen nach Alkohol.
Wir können uns nicht weiterunterhalten, da das Meeting beginnt. Der Ablauf ist ähnlich wie letztes Mal. Anscheinend spielt der Rahmen eine größere Rolle als bei anderen Gruppen, und es wird mehr über Gott gesprochen. Ich verspüre einen leichten Widerstand gegen dieses religiöse Gerede, gleichzeitig aber auch Neid, da ich gerne selber an ein höheres Wesen glauben würde, das mich bedingungslos liebt.
«Noch einmal willkommen», meint Geir, der Pfarrer genannt wird, und schüttelt mir fest die Hand.
«Besten Dank», sage ich. «Es tut gut, hier zu sein. Ich wusste nicht, dass du teilnimmst, ich dachte, du bist der Leiter.»
«Hier finden jeden Tag drei bis vier Meetings statt, ich kann sie nicht alle leiten und immer reden», sagt er und lächelt. «Ich saß hinter dir.»
«Ich wollte nämlich mit dir sprechen.» Ich trete zur Seite, da Leute sich mit Stühlen und Tischen an mir vorbeidrängen.
«Ja, lass uns irgendwann mal einen Kaffee trinken», schlägt er vor und lächelt mehreren Leuten auf der anderen Seite des Saales zu.
«Mir fehlt nämlich eine Vertrauensperson und alle, die heute Abend hier geredet haben, empfehlen, sich möglichst bald einen Betreuer zu suchen.»
«Richtig.» Er schenkt mir erneut seine Aufmerksamkeit. «Sollen wir dann nicht gleich Kaffee zusammen trinken?»
«Aber gern», erwidere ich und winke Fríða zu, die mit einer Gruppe von Leuten gerade den Saal verlässt.
Geir schaufelt drei Löffel Zucker in seinen Kaffee, ich sitze ihm gegenüber und tue es ihm nach. Wir haben in dem kleinen Café an einem winzigen Tisch am Fenster Platz genommen. Es ist eines dieser Lokale, die in Reykjavík entstehen und wieder verschwinden; das untere Stockwerk eines schmalen Hauses, das zwischen zwei höhere Gebäude gequetscht zu sein scheint, sodass das Café von der Straße aus eng und schmal wirkt. Hinten endet es jedoch in einem riesigen Garten, in dem man im Sommer sicher sehr nett sitzen kann. Die Wände sind dunkelbraun gestrichen, und die rote Einrichtung macht einen gemütlichen Eindruck.
«Möchtest du, dass ich dein Vertrauensmann werde?», kommt Geir direkt zur Sache, und ich bin ihm dankbar dafür, da es mir manchmal schwerfällt, die Leute um etwas zu bitten.
«Ja», antworte ich. «Ich wäre dir sehr dankbar dafür.»
«Diese Aufgabe übernehme ich gern, aber du musst dir über die Seriosität der Beziehung im Klaren sein.» Er schaut mich ernst an, und ich werde etwas verlegen, da ich nicht genau verstehe, was er meint.
«Das heißt?», sage ich und hoffe auf eine Erklärung.
«Im dritten Schritt heißt es:
Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes, wie wir Ihn verstanden, anzuvertrauen
. Das bedeutet, dass du deinen Willen und dein Leben
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