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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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hättest es dir gewünscht?», fragt Iðunn bestimmt.
    «Ja, klar, und er auch, doch er hat es sicher nicht gewagt wegen seinem unverschämten Freund.»
    «Wie, unverschämt?», fragt Iðunn.
    «Ach, der schwirrte immer um ihn herum. Ich hatte das Gefühl, dass Jón Águst seinetwegen keine Luft bekam. Wenn du mich fragst, dann hat er es getan.»
    «Er hat ein Alibi», antwortet Iðunn. «Kannst du mir bitte erklären, was du vorletztes Wochenende gemacht hast?»
    «Dann stehe ich also unter Verdacht?» Er ist wieder nervös geworden.
    «Nein, nein», meint Iðunn, immer noch ruhig. «Es ist einfach von Vorteil, so viele wie möglich ausschließen zu können. Aber selbstverständlich überprüfen wir solche wie dich, die wegen eines Gewaltvergehens vorbestraft sind.»
    Er schaut einen Moment schweigsam vor sich hin, während er heftig durch die Nase atmet. Seine Fäuste sind weiß, weil er die Kaffeetasse fest umklammert hält, und es bereitet mir Unbehagen, dass Iðunn ihm genau gegenübersitzt. Seine Anspannung ist so stark, dass es den Anschein hat, als würde er jeden Augenblick in die Luft gehen. Aber trotz seiner Heftigkeit klingt seine Stimme sanfter und leiser als zuvor.
    «Also. Das mit der Gewalt. Das war früher, bevor ich mein Coming-out hatte. Damals war ich ständig wütend und zugedröhnt. Und den Typen, den ich geschlagen habe – ich wollte ihn, doch ich habe mich vor Schwulen geekelt und hatte das Gefühl, dass er der lebende Beweis für mein Schwulsein war, er wusste, dass ich ihn wollte. Ich weiß nicht, ob ihr das versteht. Auf alle Fälle bin ich heute ein anderer Mensch. Ich nehme keine Drogen und saufe nicht mehr, ich bekam psychologische Betreuung im Gefängnis, und nun bin ich glücklich darüber, schwul zu sein. Ich habe seit Jahren keinen mehr geschlagen, und ich hätte Jón Ágúst niemals getötet, ich mochte ihn doch. Warum hätte ich ihn töten sollen?»
    Aus Selbsthass. Um dich an seinem Freund zu rächen. Um deine Überlegenheit deutlich zu machen. Um eine gewisse Spannung aus deinem bulligen Körper abzulassen. Weil er dich nicht wollte. Ich sammle in Gedanken unzählige Gründe, während Iðunn sich notiert, was Atli an dem entsprechenden Wochenende gemacht hat. Am Freitagabend hat er mit seinen Kumpels ferngesehen, am Samstag bis sechs gearbeitet. Danach hat er zwei Verwandte zum Essen getroffen und war anschließend mit ihnen im Kino. Um Mitternacht hat er sie nach Hause gebracht und ist dann selbst nach Hause gefahren und hat sich schlafen gelegt, sein Mitbewohner kann das bezeugen. Am Sonntag ist er um die Mittagszeit aufgestanden, hat den ganzen Nachmittag Playstation gespielt und ist dann zum Cruisen zum Öskjuhlíð-Hügel gefahren, was nur ein unbekannter Mann in einem hellbraunen Kombi bezeugen kann. Anschließend war er bei seiner Mutter zum Sonntagsbraten eingeladen.
    «Vielen Dank, dass du mit uns geredet hast», sagt Iðunn und gibt Atli zum Abschied die Hand. Ich reiche ihm ebenfalls die Hand, die er heftig schüttelt. Ich möchte diese große Faust nicht ins Gesicht bekommen. Iðunn schweigt auf dem Weg zum Wagen, als ob sie das Gespräch gedanklich erst verarbeiten muss. Auch ich schweige und lasse sie in Frieden nachdenken, aber in mir herrscht eine seltsame Unruhe.
    «Tja, was denkst du?», fragt sie, als wir im Auto sitzen.
    «Ich habe ihm gegenüber ein ungutes Gefühl, ohne dass ich es begründen kann», antworte ich. Der Satz von Atli gestern beim Meeting hallt in meinem Kopf wider: «Gott hasst Schwuchteln.»
     
    Zu Hause überkommt mich ein heftiges Verlangen nach etwas Süßem, und nichts im Kühlschrank kann es befriedigen. Ständig scheint der Körper nach Zucker zu lechzen. Wahrscheinlich hat er sich daran gewöhnt, so viel Energie aus dem Alkohol zu ziehen. Ich nehme erneut meine Jacke und gehe eilig zur Bäckerei auf dem Laugavegur. Sie ist um ein Café erweitert worden, seit ich das letzte Mal da gewesen bin. Deswegen werde ich mir etwas Süßes kaufen und es vor Ort zusammen mit einem frischen Kaffee genießen. Ich bestelle einen Donut und ein Plunderstückchen und esse beides, bevor der Kaffee kommt, nehme dann noch eine Schokoschnecke zum Kaffee.
    «Ach, hallo!», sagt eine Frauenstimme neben mir. Während ich mir die Schokoladenglasur aus den Mundwinkeln wische, erkenne ich das Mädchen, das ich am Tag meiner Entlassung aus dem Entzug auf dem Meeting gesehen habe.
    «Hallo, Fríða», antworte ich und gebe ihr die Hand.
    «Du erinnerst dich an

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