Zwölf um ein Bett
lieber Mr. Steptoe!« Lady Sandys winkte ihm durch die offene Tür zu, und Oliver sank der Mut, als er sah, daß sie noch immer das Freundschaftsarmband trug. Er versuchte, Miß Smuts’ Blick einzufangen, aber sie war schon gegangen, um sich den Vordersitz zu sichern, weil ihr im Rücksitz immer schlecht wurde.
Nachdem alle verschwunden waren, warteten John und Violet in Olivers Zimmer auf Mr. Peploe, der zurückkommen und sie holen sollte. John, der stattlich und hübsch aussah in seinem schwarzen Anzug mit einer weißen Nelke im Knopfloch und dem mit Hilfe von öl zu kleinen Wellen geglätteten krausen Haar, schien nervöser als Violet. Diese lag mit der Brille auf der Nase in einem Sessel, wobei sie ihr Kleid zerknüllte, und stieß in Abständen hervor: »Gott, ich wünschte, es wäre alles vorüber.« John durchwanderte mit seinen langen Beinen das Zimmer und redete sinnloses Zeug. Seine Stirn war wie ein geeggtes Feld. Er hatte sich beim zweiten Rasieren geschnitten und drückte unentwegt sein Taschentuch gegen einen winzigen, immer wieder hervorquellenden Blutfleck.
Endlich hörte man den zurückkommenden Wagen. Violet erhob sich mit einem »Jetzt geht’s los, Kinder!« aus dem Sessel, zog ihre Strümpfe wie ein Schulmädchen hoch und umklammerte ihr Blumenbukett wie einen Gummiknüppel. »Tschüs, Ollie«, sagte sie barsch. »Wünschte, du könntest mitkommen. Geht’s dir auch bestimmt gut?«
»Es ist scheußlich, dich hier allein zu lassen«, sagte John ängstlich. Oliver jagte sie mit seinem Segen hinaus und lehnte sich mit den Armen um das Knie vor, um ihnen nachzusehen, wie sie in den Wagen stiegen. Im letzten Augenblick drehte sich Violet und winkte ihm, bumste ihren Kopf am Wagendach, als sie sich zurückwandte, und stieg ein, wobei sie sich den Turban rieb. Oliver hoffte, daß Heather am Eingang der Kirche stünde, um ihn wieder geradezurichten.
Oliver sah dem Wagen nach, wie er den kleinen grünen Rasenfleck umfuhr und außer Sicht kam; dann lehnte er sich zurück, um das Gefühl des Alleinseins auszukosten. Alle hatten sich abwechselnd angeboten, bei Oliver zu bleiben, aber er hatte es energisch abgelehnt und hatte sogar, um sie zu beruhigen, bei Dr. Trevor schriftlich um die Erlaubnis gebeten, allein bleiben zu dürfen. Er war während seiner Krankheit noch niemals völlig allein gewesen und blickte dem Experiment mit Neugier entgegen. Auch die Cowlins waren in der Kirche, wie die meisten Leute vom Hof, obgleich er, als er zum Fenster hinausschaute und seinen Kopf ausreckte, einen Mann mit einem Traktor entdeckte, der Muster auf einem abfallenden Feld an der östlichen Grenze ihres Landes zog. Er war ganz allein im Hause, und die Stille war so vollkommen, daß er sich einbildete, er könnte alle Uhren ticken hören und den Küchenherd surren und dann und wann zischen, wenn sich der Deckel vom Topf hob und ein Wassertropfen über die alte Eisenplatte hüpfte. Ganz allein im Hause. Er fühlte sich wohl, so wohl, daß es ihn amüsierte, zu überlegen, was er machen sollte, wenn ihn einer seiner Schwächeanfälle oder eine Herzattacke überfiele, vor denen Dr. Trevor ihn stets warnte, damit er sich nicht übernehmen sollte.
Nur um des Interesses willen, was sollte er dann tun? Der Mann mit dem Traktor könnte ihn niemals hören. Könnte er aus dem Bett steigen und hüpfend oder kriechend den Wandschrank mit seinen Pillen erreichen? Er würde es niemals bis zum Telefon im nächsten Zimmer schaffen, und wenn, wen sollte er anrufen? Sie würden nicht lange fort sein, natürlich; sie würden zurück sein, ehe ihm etwas Ernsthaftes geschehen könnte. Elisabeth würde zurück sein. Sie würde wissen, was zu machen war. Aber es ging ihm heute ausgezeichnet. Er hatte sich das so sehr gewünscht, daß ihn die Erfüllung seines Wunsches beinahe überraschte.
Er nahm sein Buch auf und begann zu lesen. Eigentlich schade, daß sie nicht länger bleiben würden. Nach dem aufgeregten Hin und Her der letzten Tage war es sehr angenehm, allein zu sein. Er hatte diese Pause vor dem Einbruch der Horde auch sehr nötig; denn alle würden zu ihm hereinkommen, auch trotz seiner Mutter. Manche der Gäste kannten ihn kaum und würden verwirrt sein, weil er ein Bein verloren hatte und sie nicht wußten, ob sie darüber sprechen sollten. Er mußte die Ruhe genießen, ehe sie kamen, mußte sie mit vollem Bewußtsein auskosten als einen Aktiv- und nicht als einen Passivposten.
Irgendwo in Richtung der Küche
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