Zwölf um ein Bett
ein bißchen in der Gegenwart zu leben. Selbst John hat es schließlich so gemacht, und es scheint doch eine wunderbar schöne Zeit für ihn gewesen zu sein. Nun ja, Stanford war hell begeistert, und zwar in einer reichlich triumphierenden Art, so wie >ich wußte ja, daß du früher oder später zu Verstand kommst<. Wir fuhren zu dieser ziemlich finsteren Party. Seine Freunde hatte ich nie sehr gern gehabt. Sie eignen sich ausgezeichnet für eine Party, und ich habe mich gut mit ihnen vertragen und mich mit ihnen amüsiert, aber an diesem Abend konnte ich sie einfach nicht ertragen, besonders diese Doris nicht, mit den Zähnen und dem lila Lippenstift. Alle wirkten so banal. Natürlich konnten sie nicht wissen, was ich Schreckliches angestellt hatte und wie mir nun zumute war. Du kennst doch das Gefühl, wenn man auf einem Schlitten gerade noch einen halben Zentimeter an einer Telegrafenstange vorbeigesaust ist — durchgeschüttelt und zitternd und elend fühlt man sich danach. Genauso fühlte ich mich. Und jedesmal, wenn ich daran dachte, wie John und Elisabeth die Briefe finden würden und was ihr alle dazu sagen würdet, fühlte ich mich noch elender. Ich war überzeugt, ich würde niemals wieder zurückgehen können. Und je unwiderruflicher mir das erschien, desto trauriger wurde ich. Dann trank ich ein oder zwei Glas, irgend so ein giftiges Gebräu von diesem leutseligen Barmann mit dem hängenden Augenlid, und wurde immer trauriger.
Stanford war furchtbar lieb zu mir. Er kam immer wieder zu mir hin und flüsterte mir zu, wir könnten uns bald aus dem Staube machen — er wüßte, wohin wir gehen könnten. Er sagte, er hätte schon ein Zimmer in einem ruhigen Hotel am Fluß für uns bestellt und wir könnten über das Wochenende dort bleiben und beraten, was geschehen sollte, wenn wir wieder nach Ockney zurückgingen. Eins muß ich ihm lassen, er ist sehr tüchtig in einer solchen Situation. Er macht es alles so leicht. Hat eine Menge Erfahrung, nehme ich an.
>Glücklich?< fragte er immer wieder, und ich sagte >ja, sehr<; dabei war ich gar nicht glücklich. Der Gedanke an ihn war mir plötzlich überhaupt nicht mehr angenehm. Du wirst lachen, aber es war wirklich vorher die ganze Zeit sehr angenehm, jemanden um sich zu haben, der einen wunderschön findet und nur zu bereit ist, dies auch zu sagen, und auch, daß man von seinem Mann gar nicht genug geschätzt wird. Genau das, was man gerne hören möchte. Aber nun, als ich hatte, was ich wollte, merkte ich, daß ich ihn gar nicht sehr mochte, wenigstens nicht übermäßig. Dabei war er doch alles, was mir geblieben war. Kein Wunder, daß ich traurig wurde.
Alle waren ins Restaurant tanzen gegangen. Stanford und ich waren allein. Er war zur Bar gegangen, um noch etwas zu trinken, und da geschah es. Ich dachte immer, solche Sachen geschehen nur in der Kirche, und ich nehme an, du glaubst das auch; aber das stimmt nicht, weißt du.
Wie soll ich dir das nun erzählen? Wie kann ich mich denn nur verständlich machen? Versprich, daß du nicht lachen und dich nicht lustig machen wirst; wenn dir danach zumute ist, warte bis später.
Nun gut... weißt du, man schwatzt so schrecklich viel hergeleierten Unsinn über den Frieden Gottes, der über alles Verstehen geht. Geistliche mit Klößen im Hals rufen es dir aus dem Radio zu, ohne einen wirklichen Sinn. Ich erkannte jedoch plötzlich — dort in der profanen Bar — den tiefen Sinn. Ich fühlte ihn, Ollie. Ich merkte es erst gar nicht. Ich fühlte mich nur warm und behaglich und überhaupt nicht mehr unglücklich bei dem Gedanken an die Zukunft. Es war so, als wenn jemand furchtbar besorgt um dich ist, wenn du dich nicht wohl fühlst; als wenn jemand deine Hand nimmt — jemand Freundliches, von dem du genau weißt, daß du ihn besser kennst als alles andere — und sagt: >Schon gut; du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.< Das war mein unglaubliches Erlebnis. Ich nehme an, du glaubst, es war der Alkohol. Nun, glaub’s, wenn du willst.
All das Ringen und Straucheln, das ich in der Kirche durchgemacht habe und das alles nicht zum Ziele führte, all dies eifrige Hersagen der Gebete, ohne daß ich richtig wußte, Was sie für einen Sinn hatten, diese Überlegungen, wenn ich frühmorgens in der Kälte aufstand und sehr inbrünstig zehn Kugeln vom Rosenkranz abbetete und mehr in die Opferschale warf, als ich mir leisten konnte — nach all dem geschah mir nun das, worum ich mir soviel Mühe gegeben hatte,
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