Zwölf um ein Bett
Er lag da, sah aus dem Fenster und nahm das Familien-Crescendo als Hintergrund für seine eigenen Gedanken. Seit Heather »doch« und »nein« sagen konnte, kannte er diese Wortgefechte.
Mit dem Tisch hatten sie beide unrecht. Er wußte ganz genau, daß er in der Mitte des Zimmers gestanden hatte, weil er oft daran gesessen und Briefmarken in sein Album geklebt hatte; sein Vater hatte Freude an seinem Sammeleifer gehabt. Aber er hatte schon lange gelernt, daß es besser war, weder zu vermitteln noch Partei zu ergreifen. Er verlängerte nur das Wortgefecht, das sonst von einem neuen, vielleicht weniger stumpfsinnigen Thema abgelöst werden würde. Die Kabbeleien seiner Schwestern stammten noch aus der Kinderzeit, in der sie das Mobiliar des Kinderzimmers dabei demolierten. In der Backfischzeit steigerten sie sich zu immer stärkerer Heftigkeit und Schrillheit, bis sie dann wieder nachließen, als Heather erwachsen war und mehr Interesse an Dingen nahm, die außerhalb des Familienkreises lagen. Sie betrachtete Violet schließlich als ein Wesen, dem nicht zu helfen war. Entweder war Heather weniger daheim oder sie war ruhiger geworden, jedenfalls gellte ihr aufgebrachtes »Aber Vi!« weniger oft durch das Haus. Später fiel sie allerdings wieder in ihre alte Gewohnheit zurück. Allein der Anblick oder die Stimme ihrer Schwester wirkten auf sie wie ein juckender Ausschlag, den sie kratzen mußte. Und wie bei einem Ausschlag juckte es immer stärker, je mehr sie kratzte. Mrs. North mußte wieder, wie zur Kinderzeit, sagen: »Laß deine Schwester in Ruh!«, denn wenn Violet erst einmal gereizt war, wurde sie verdrießlich, erschien nicht mehr zu den Mahlzeiten, und Mrs. North liebte es nicht, daß sie abends, wenn alle schlafen gegangen waren, noch einen Beutezug nach Speck für den Lunch machte. Nachdem der Streit über den Tisch abgeebbt war, sagte Violet (es war nicht immer Heather, die eine Kabbelei provozierte): »Muß eigentlich dieser Kinderschreck immer bei uns zu Tisch erscheinen? Montag zum Abendessen und heute bereits wieder zum Tee. Wird er in Ockney nicht gut genug gefüttert? Er fällt mir auf die Nerven.«
»Viel wahrscheinlicher fällst du mir auf die Nerven«, warf Heather zurück. »Nicht einmal die Hände hattest du dir zum Tee gewaschen, und dein scheußlicher Hund besabberte ihm die ganzen Hosen. Er wird sehr beglückt gewesen sein bei dem Gedanken, daß Hundespucke nie wieder abgeht.«
»Er ist ein Trottel«, sagte Violet.
»Du weißt wohl nicht, was das Wort bedeutet.«
Violet lachte wieder schallend. »Es paßt haargenau!« Heather stopfte verbissener denn je, ihr Kußmund klemmte sich fest wie eine Muschel zusammen. Violet warf die Augen gen Himmel und zur Seite, nahm aufs Geratewohl ein Buch von Olivers Tisch und fing zu lesen an, wobei sie das Buch dicht vor die Augen hielt.
Heather warf ihr dauernd wütende Blicke zu und platzte plötzlich heraus: »Warum trägst du nicht deine Brille? Kein Wunder, wenn deine Augen immer schlechter werden.«
»Werden sie nicht!«
»Werden sie doch. Darum hast du auch beim Abendbrot dein Glas umgekippt und das Salz verschüttet. Tapsiger kannst du wirklich nicht sein. Ich weiß, daß du dich mit der Brille nicht magst, aber was tut es schon, wie du aussiehst? Ich meine, wenn’s doch gut für deine Augen ist«, fügte sie hinzu, um das, was sie offensichtlich gemeint hatte, etwas zu vertuschen. »Findest du sie nicht auch töricht, Ollie?« Als er sich nicht hineinziehen ließ, wendete sie sich gegen ihn. »Ach, sei nicht so abgeklärt. Du liegst da so gelassen wie ein hingehauchter Heiliger — es kann einem schlecht werden.«
»Ich dachte, du hättest eine Schwäche für Heilige?« sagte Oliver, »jedenfalls für katholische.«
»Aber nicht zu Hause.«
»Was möchtest du denn gern, das ich tun soll?« fragte Oliver. »Johlen und schreien und einen Herzanfall bekommen?«
»Ach, sei nicht böse, Liebling. Ich meinte es nicht so. Vergiß es bitte. Ich bin ein Ekel.« Sie legte die Jacke fort, zupfte in ihrem Ärmel nach einem Taschentuch und schnüffelte. Violet sah interessiert hoch, und Heather gelang es, ihr Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie sagte: »Du hast überall Zigarettenasche auf deiner Bluse. Wie in aller Welt bringst du es fertig, dich so zu beklecksen?«
Als Elisabeth plötzlich hereinkam, bot sich ihr ein sehr friedliches Familienbild. »Verzeihung, es tut mir leid, daß ich gestört habe«, sagte sie und wollte wieder gehen,
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