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Zwölf um ein Bett

Zwölf um ein Bett

Titel: Zwölf um ein Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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vorschriftsmäßig ich empfunden hatte. In Wirklichkeit lag ich in einem schmalen Boot. Unser vorgeschobener Verbandsplatz lag auf der anderen Seite eines Rheinarmes, und wir mußten unsere Schwerverwundeten nachts hinüberbringen. Ein steifer Wind blies über den Fluß, und das Boot schaukelte und stieß gegen die kleine Mole. Ich lag auf dem Boden und war wie ein Kokon in eine Decke eingewickelt. Ich dachte erst, aus diesem Grund könnte ich nicht richtig atmen. Ich hörte heiseres Flüstern und gemurmelte Flüche. Mit schmutzigen Stiefeln stieg man über meinen Kopf. Es war verdammt kalt, und ich konnte niemanden aus meinem Haufen entdecken.
    Ich kannte aber dann doch einen der Ärzte auf dem Verbandsplatz, einen Schotten mit einem kleinen Schnurrbart auf der Oberlippe und einer sanften Stimme. Er erzählte mir, daß sie mir ein Bein abnehmen wollten, ehe sie mich zum Feldlazarett brächten. Ich kann mich nicht besinnen, eine Meinung darüber gehabt zu haben. Ich glaube, ich dachte, das wäre eine gute Idee, wenn die Schmerzen dadurch nachließen. Alle amüsierten sich königlich, als sie meine Brust frei machten, um mein Herz abzuhorchen, und ein Nest von einem Dutzend großer Zwiebeln fanden. Dann fanden sie allerdings auch das Loch, in das der Granatsplitter hineingegangen war, und nahmen ihn heraus. Seitdem habe ich nichts anderes zu hören bekommen als: Das Herz, das Herz, das Herz, und du mußt das tun und das darfst du nicht tun, und was für ein Wunder, daß dein Leben gerettet wurde, und du bist ein Dummkopf, es einfach wegzuwerfen, bloß weil du nicht tun willst, was man dir sagt.
    All dies hörte ich hauptsächlich im chirurgischen Lazarett in England. Für die Leute dort war ich so etwas wie eine Pest. Die Stationsschwester war sehr frank und frei und so von Mensch zu Mensch. Sie war es auch, die mich einen Dummkopf nannte und mir meinen Tod fest versprach. Sie war mehr für eine direkte als für eine humorvolle Methode, und als ihnen klar war, daß mein Stumpf nicht anständig verheilen würde, teilte sie mir das voller Stolz mit, als ob sie voller Bewunderung für ihren eigenen Mut zur Aufrichtigkeit wäre. Wenn die Pflegerin sie nach dem Verbandwechsel zum Nachschauen an mein Bett rief, war ihre ständige Redensart: >Was habe ich gesagt? Sie werden noch lange hierbleiben!<, so als ob das allein mein Fehler wäre und mir ganz recht geschähe. Ich lag in einer jener provisorischen Baracken, die man dem Hauptlazarett angegliedert hatte. Zwanzig Betten standen darin, Schränke, die aussahen wie hochgestellte Seifenkisten, und in der Mitte ein eiserner Ofen, um den immer ein paar unrasierte Männer saßen und Karten spielten. Es war wirklich ein ziemlich trauriger Flecken Erde, und ich werde nie das Gesicht meiner alten Ma vergessen, als sie mich zum erstenmal besuchte. Ich glaube, sie hatte erwartet, mich in einem Privatzimmer zu finden, umgeben von hübschen, gurrenden Pflegerinnen und Blumen und exotischen Früchten.
    Sie war entsetzt. Zu denken, daß jemand ihren Sohn — ihren Sohn — an diesen Ort gebracht hatte, wo die Bettenden so niedrig waren, daß das Kopfkissen herunterrutschte und das Butterbrot für den ganzen Tag am Abend vorher zurechtgemacht wurde. Weil sie ihr Mitgefühl zu sehr zeigte, wurde ich, ohne jede Bosheit, immer lustiger. In Wirklichkeit haßte ich diesen Ort. Wir alle haßten ihn, und abends, wenn die Dämmerung wie eine Wolke von Zigarettenrauch an den Stützbalken der Regenrinne hing, munterten wir uns gegenseitig mit Schimpfereien auf. Wenn ein optimistischer neuer Patient eintraf, der sich vorgenommen hatte, die Sache von der besten Seite zu nehmen, machte es uns ein schäbiges Vergnügen, ihn zu unserer Denkweise zu erziehen. Selbstverständlich empfand meine Mutter diese Atmosphäre, aber ich sagte ihr, sie bilde sich alles nur ein. Nicht, weil ich besonders edel war, sondern, weil ich gerade damals Mitleid, ganz gleich von wem, einfach nicht vertragen konnte.
    Sie hatte ein Zimmer in der Stadt genommen und war am nächsten Tag wieder bei mir. Es war kein Besuchstag, und sie durfte mich natürlich nicht sehen. Ich konnte den Wortwechsel, der sich im Vorraum der Baracke abspielte, hören. Ich wußte, wer siegen würde, und selbstverständlich kam die alte Dame kurz darauf hereingesegelt, hinter ihr die Schwester, puterrot im Gesicht. Es war Winter damals, und die Fenster waren sehr niedrig, aber vor fünf Uhr durften wir kein Licht machen. An diesem Tage war es draußen

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