Zwölf um ein Bett
nicht so.«
»Das schadet nichts«, sagte Oliver ergötzt, »theoretisch haben Sie ganz recht. Aber Sie haben die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. Hat sie Ihnen niemals erzählt, wie sie mich den Klauen der Hölle entrissen hat? Das war eine ihrer größten Heldentaten. Was haben Sie jetzt vor — doch nicht meinen Verband zu wechseln?«
»Sie wissen, daß Sie alle vier Stunden die Lebertransalbe haben sollen. Um sechs Uhr haben Sie sie zuletzt bekommen.«
»Ich wundere mich nur, daß Sie nicht nachts deswegen aufstehen«, brummte er.
»Ich glaube, ich sollte es wirklich tun«, sagte sie ernsthaft. »Würde ich Sie nicht schon so gut kennen«, sagte Oliver, »so müßte ich Sie für meine ergebene Sklavin halten; aber leider muß ich zugeben, daß Sie meinen Stumpf hegen und pflegen — nicht mich.«
»Erzählen Sie mir die Geschichte von Ihrer Mutter und den Klauen der Hölle«, sagte Elisabeth, »und vielleicht könnten Sie dabei die Mullbinde aufwickeln.«
»Sie wissen doch«, sagte Oliver, »ich wurde bei Arnheim verwundet. Dieselbe Granate, die mein linkes Bein zerfetzte, hinterließ mir auch einen Splitter in der Brust. Wir lagen seit vier Tagen im Dachgeschoß eines Hauses in der Hauptstraße. Regelmäßig tauchte auf dieser Straße ein Panzer auf und verschwand wieder, er wollte uns reizen und dann auspusten. Eine ganze Menge unserer Jungen ging drauf, und ich war davon überzeugt, daß ich auch bald dran wäre; während der ganzen Zeit da oben unterm Dach war ich steif vor Angst. Es wäre ja viel netter, wenn ich Ihnen jetzt erzählen könnte, wie ich neben meiner Waffe fiel, wie ich bis zum letzten Atemzuge schoß und dann mit einem anfeuernden Schrei auf den Lippen hintenüber fiel. Aber leider muß ich sagen, ich fiel einfach aus Gefräßigkeit.
Wir waren zwölf in diesem Hause. Diejenigen, die nicht gerade das MG zu bedienen hatten oder Scharfschießen mußten, hielten sich meist im Keller auf. Der alte Mann, dem das Haus gehörte, muß ein Spezialist in Rheinwein gewesen sein, sein Rotwein schmeckte wie prickelnde Tinte. Wir lebten hauptsächlich von Eintopf, der von einem ausgesprochenen Zauberer, früher Koch am Savoy oder irgendwo, in einem alten Eimer gekocht wurde. Er ließ das Zeug den ganzen Tag über auf kleinem Feuer ziehen und warf alles dazu, was er erwischen konnte. Manchmal organisierten wir ein Huhn, und einmal, als wir auf einem Patrouillengang auf einen Deutschen schossen, trafen wir ein Kaninchen.
An dem denkwürdigen Tag kam ich vom Boden herunter und ging zu dem Eimer hinüber. Ich probierte aus einem Schöpflöffel, weil ich mal sehen wollte, was aus unserem Abendessen wurde.
>Nicht genug Zwiebeln dran<, sagte ich zu Willi. Willi war der Mann, der den Eintopf kochte.
>Ich konnte heute keine holen<, sagte Willi, >jedesmal, wenn ich in den Küchengarten gehen wollte, kam eine Heinkel, um mir etwas auf den Kopf zu werfen. <
Ich sagte, ohne Zwiebeln könnten wir das Zeug nicht essen. Wir waren langsam wählerisch geworden bei diesem Eintopf. Ich sagte ihm noch einiges, was ich so über seinen Laden dachte, und ging, um selber Zwiebeln zu holen.
Das Haus hatte einen dieser langen engen Gärten mit Blumenbeeten, einem Laubengang und einem Etwas, das einstmals Rasen gewesen und schließlich zu einem Küchengarten geworden war. Ich fand die Zwiebeln und steckte ungefähr ein Dutzend in meine Bluse. Gerade wollte ich mich umdrehen, um wieder zurückzugehen, da sah ich ganz hinten in einer Zaunecke einen kleinen Lorbeerbaum. Ich mußte an Ma und ihre Lorbeerblätter denken. Sie pflanzte diese Bäume in einen Kübel vor der Haustür. Als wir in London lebten, gab es auch ein solches Bäumchen in unserem Häuserviertel, und sie schickte mich immer ein paar Blätter stibitzen, wenn der Gärtner seine Teepause machte. Willi, der erfahrene Koch, würde sie zu schätzen wissen. Willi wird sich freuen, dachte ich, und das war auch das letzte, was ich dachte, denn die Granate warf mich halbwegs gegen das Bäumchen.
Willi muß mich gefunden haben, als er nachsehen wollte, was mit seinen Zwiebeln los wäre. Ich weiß es nicht. Als ich wieder zu mir kam, wurde ich sanft geschaukelt. Ich kam mir vor wie ein Baby in der Wiege. Ich schwöre es. Ich denke mir das jetzt nicht aus, weil ich gelesen habe, daß man im Unterbewußtsein ein mütterliches Wiegen verspürt, wenn man am Abkratzen ist. Hinterher habe ich es allerdings gelesen und war sehr befriedigt darüber, wie
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