Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Willem.
»Der Hund bleibt hier«, sagte Willem, »der ist uns !« Dann war es für Sekunden wieder still.
Eine gute Weile blieb der nächtliche Eindringling vor Willem stehen; ob es einer von den beiden Kerlen war, die er am Abend in der Wirtsstube gesehen hatte? Dann knirschte der Boden wieder unter den Schritten, mit denen er sich langsam entfernte. Einen Augenblick noch sah Willem die Gestalt im Türrahmen vor dem nächtlichen Himmel stehen, dann fiel die Türe ins Schloß, und er hörte nur mehr das ruhige Atmen seiner schlafenden Kameraden. Nicht einer von ihnen war wach geworden. Willem atmete auf, aber nun war er fest entschlossen, in dieser Nacht nicht zu schlafen. Leise ließ er sich wieder ins Heu zurücksinken. Deutlich hörte er im nahen Dorfe die Turmuhr der Kirche die Stunden schlagen. Er dachte an die Obermauelsbacher , die dort rundum in den einzelnen Häusern und Scheunen in guter Ruh lagen, und der Gedanke kam ihm, am kommenden Morgen mit seinen »Mitverstoßenen« bei der großen Wallfahrt Zuflucht zu nehmen. Jetzt, wo sie schon so weit von Hause weg waren, würde man sie sicher nicht mehr zurückschicken, und ihm würde eine schwere Last vom Herzen fallen, wenn er sich um seine Kameraden nicht mehr zu sorgen brauchte. Es würde ja sicher einen mächtigen Stunk geben, wenn sie morgen auf einmal mit Karo und dem Leiterwagen angereist kämen! Der würde vorübergehen wie immer noch, und dann war alles in bester Butter. Der Gedanke an diese Möglichkeiten war für Willem so freundlich und beglückend, daß er sich langsam wohler fühlte. Und je mehr die Sorge aus seinem Herzen wich, um so mehr machte sich die Müdigkeit bemerkbar. Es verging nicht viel Zeit, da mußte Willem mächtig gegen den Schlaf ankämpfen. Er wehrte sich dagegen, so gut es ging, aber dann schlief auch er genau so fest wie alle anderen. Und bald war es Mitternacht.
Da! Mit einem Schlage war Willem wieder hellwach! Im ersten Augenblick wußte er gar nicht, wo er war, nur ein unheimliche Stille lag rund um ihn und eine undurchdringliche Finsternis. Aber dann hörte er Karo knurren, nun wußte er genug. Sie lagen in der Scheune oben im Heu, und irgendwer mußte wieder dasein, der etwas Böses wollte. Der Hund knurrte, Schritte, die rückwärts tappten, knirschten über das Holz, und dann flüsterte eine heisere Stimme mit verbissener Wut: »Du elendes Hundevieh, das du bist, laß mich durch .« Der Hund knurrte wieder, nur noch grimmiger. Den jäh aus dem Schlaf gerissenen Willem überlief es kalt und heiß. Das Herz schlug ihm hart in der Brust. Nach einer Weile war alles wieder still, und Karo knurrte nicht mehr, aber Willem wußte nicht, ob der nächtliche Besucher weg war oder nicht. Von seinen Kameraden schien wieder keiner wach geworden zu sein. »Wäre doch bloß die Nacht zu Ende !« seufzte der Junge, »daß wir rauskommen aus dieser widerlichen Bude!« Und zum zweiten Male faßte er den festen Entschluß, unter allen Umständen wach zu bleiben bis zum nächsten Morgen.
»Willem, es ist schon ganz hell draußen! Stehen wir noch nicht bald auf ?« Das war Ludwig, der so sprach, und er boxte dazu seinen Nachbarn kräftig in die Rippen. Willem richtete sich hoch. Da hatte er also doch geschlafen. Nun war es hell draußen, und nichts Böses war geschehen. Er freute sich. Als er rundum im Heu die verschlafenen Gesichter und verstrubbelten Köpfe seiner Kameraden sah, da mußte er lachen: alles hatte gut gegangen, und weil trotz des hellen Morgens nach Theos Meinung alle noch »furchtbar müde« waren, gab Willem großmütig noch eine Stunde Schlaf zu. Alle Strubbelköpfe tauchten wieder unter ins Heu, es wurde wieder nächtlich still auf dem Heuboden, Willem war nicht traurig drum. Die Prozession würden sie noch einholen, dessen war er sicher. Als er nun so recht zufrieden mit sich im warmen Heu dalag, dachte er, alle Unheimlichkeiten der Nacht seien nur ein Traum gewesen, aber in gleichem Augenblick begann Karo, der jetzt zu Willems Füßen lag, wieder sein nächtliches Knurren, und richtig, draußen knarrte auch die alte Stiege wieder. Wieder öffnete sich drüben die Türe, und da stand vor dem hellen Morgenhimmel tatsächlich der unheimliche Kerl von gestern Abend, den er unten in der Gaststube bei dem Wirt gesehen hatte. Wieder kam er vorsichtig auf die Jungen los. Als deren Köpfe aber jetzt alle zugleich aus dem Heu hochfuhren, trat er kräftiger auf, und im gleichen Augenblick bellte Karo wütend los. »Was wollen
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