Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Dickendorf
In diesem Augenblick fuhr auf der Straße mit lautem Krach ein Lastwagen daher. Hell und weit seine Scheinwerfer. Und dann blieb der Wagen stehen, blendete seine Lampen ab, und die Jungen hörten, wie die Türe aufgestoßen wurde. Dann fragte eine Stimme aus dem Dunkel: »He, ihr, was macht ihr denn da ?« Die »Verstoßenen« gaben keine Antwort, sie waren mächtig erschrocken. Schritte klapperten über die Straße. Ein Mann kam auf die Jungen zu. »He, Kerls, was macht ihr da ?« fragte er wieder. »Wir haben unser Abendgebet gebetet«, antwortete Willem bloß, um was zu sagen. »Ja, wo wollt ihr denn jetzt schlafen e Wenn man zu Abend gebetet hat, geht man schlafen. Und ihr?«
»Wir wollen hier schlafen. Wir sind zu müde, noch weiter zu gehen, und bleiben bis morgen früh hier. Dann gehen wir nach Dickendorf, wo alle anderen aus unserm Dorf sind, mit denen wir nach Heiligkreuz ziehen !« Willem war fertig.
Der Mann lachte gutmütig. »Jungens«, sagte er, »ihr seid mir die richtigen! Hier zu schlafen! Ihr könnt euch ja den Tod holen diese Nacht. Da bin ich ja grad richtig gekommen. Los, jetzt! Rauf, auf den Wagen; ich bin ganz nah bei Dickendorf zu Hause, da will ich euch mitnehmen. Kommt, hier könnt ihr unmöglich bleiben .«
Die »Verstoßenen« wußten nicht, wie ihnen war. Der Mann wollte sie noch nach Dickendorf fahren! Ach, das war ja gar nicht zu glauben! Der Mann aber drängte, sie sollten voranmachen. Na, da rappelten sie sich denn hoch, fuhren den Leiterwagen an das Auto heran, der Mann hatte schon hinten die Klappe heruntergemacht. Nun wurde der Wagen von allen hochgestemmt und ins Auto geschoben. Karo wurde hineingehoben und dann kletterten die »Verstoßenen« nach. Ach, sie waren auf einmal gar nicht mehr müde! So schön war das, das hätten sie ja nie geglaubt. Willem durfte sich vorne neben den Mann setzen, die Scheinwerfer blendeten wieder auf, der Motor sprang an, rubs ! sie fuhren, sie fuhren in die Nacht hinein, es ging nach Dickendorf.
»So«, sagte der Mann, als sie gut in Fahrt waren, zu Willem, »nun erzähl man schön, woher ihr seid. Wie ihr auf die Schnapsidee kommt, unterm Kreuz zu schlafen, und weshalb ihr überhaupt so alleine durch die Welt torkelt! Alles schön der Reihe nach. Also los !« Und Willem erzählte... alles, ganz ehrlich. Nichts ließ er aus! Der Mann am Steuerrad hörte schweigend zu, und das Auto fuhr durch die Nacht.
Während Willem erzählte, sah er dauernd, wie die Landstraße ihnen entgegenflog. Er mußte daran denken, wieviel tausend Schritte zu gehen ihnen nun erspart wurden. »Sieben Kilometer hättet ihr noch laufen müssen«, sagte ihm der Fahrer auf seine Frage. Die letzten Kilometer ging es wieder den Berg hinauf in steilen Kurven, und dann hielt das Auto plötzlich an. »Siehst du«, sagte der Fahrer, »da rechts geht jetzt der Weg nach Dickendorf hinein. Hundert Meter sind es bis dahin. Aber ich denk, ihr fahrt jetzt besser mit bis zu mir nach Hause, bis Klein-Dickendorf. Ist nur ein Kilometer. Ihr könnt doch jetzt nicht zur Nachtschlafenzeit das Dorf da wachmachen, nach euren Eltern suchen und denen einen höllischen Schrecken einjagen. Na, da ist besser, ihr schlaft in meiner Scheune, meine Frau weckt euch morgen schön — ich muß früh wieder weg — , und dann geht ihr morgen früh zu Papa und Mama und laßt euch die Buchse vollkloppen , ihr Ausreißer! Oder, was meinst du, mein Junge ?« Willem war mit allem einverstanden. Das Auto fuhr wieder an, und ehe Willem den Gedanken richtig zu Ende gedacht, daß sie in der Scheune von dem Autofahrer prima schlafen würden , hielt der Wagen auch schon. Ein Hoftor wurde aufgetan, man war bei Herrn Täpper zu Hause.
»Mutter«, sagte der Fahrer, als er aus seinem Kasten herausgeklettert war, »nun mach schnell ‘nen ordentlichen Pott Milch warm! Du wirst dich wundern, was ich geladen hab !« Hinten am Wagen wurde nun schnell die Klappe heruntergeklappt. »Na, los, Jungens, nun raus mit euch, wir sind da !« Aber nur Karo kam, und kein Junge; sie schliefen alle wie die Murmeltiere. Willem hatte Mühe, sie wachzukriegen . Den Leiterwagen mußte Herr Täpper mit seiner Frau herunterholen. Schlaftrunken taumelten die Buben ins Haus hinein. Steif und still hockten sie in Mutter Täppers Küche herum, und erst als die dampfende Milch auf dem Tische stand, wurden unsere elf »Verstoßenen« für ein paar Minuten wach. Eine Viertelstunde später aber schliefen sie, warm in Heu und Stroh
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