Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
dieser wilden Flucht Emils Kartoffelsack plötzlich auf die Straße geplumpst wäre. Dabei platzte er auf, und die Kartoffeln rollten über das Pflaster. Willem, der sich an den Schluß seiner Kameraden gestellt hatte, hatte das Unglück wohl bemerkt, aber er ließ die Kartoffeln liegen und rannte mit den andern weiter. Die Straßenlümmels aber machten halt. Mit lautem Gebrüll machten sie sich über die Kartoffeln her. Nur ein halbwüchsiger Bursche rannte noch ein Stück weiter. Erst als er sah, daß er der einzige war, stoppte auch er ab. Zu guter Letzt aber warf er wenigstens noch einen Stein hinter den »Verstoßenen« drein. Es war ein großer und kantiger Stein, und der schlimme Bursche warf ihn mit aller Kraft. Er traf keinen von den fliehenden Jungen. Der Stein prallte vielmehr auf den Boden, sprang aber dann wieder hoch und schlug Karo gegen das linke Vorderbein. Karo heulte kläglich auf und humpelte nun auf drei Beinen mit den Jungen dahin, ein armer trauriger Verwundeter.
Nach etwa fünfzig Metern hielten die »Verstoßenen« mit Laufen ein. Keuchend und außer Atem blieben sie unter einer trübselig brennenden Straßenlaterne stehen. Hochrot waren ihre Gesichter. Es war ein Glück für sie, daß der verlorene Kartoffelsack sie von ihren Peinigern befreit hatte. Nun standen sie da und schnappten nach Luft. Karo hielt den linken Vorderfuß hoch, damit alle sehen könnten, was man ihm angetan hatte. Dann jaulte er leise und leckte heftig die blutende Wunde.
Müllers Ludwig war ganz untröstlich. Er hockte sich zu Karo hin, streichelte ihn und faßte ihn um den Hals, wobei er immer wieder sagte: »Armer Karo, lieber Karo, tut es weh ?« Die anderen sagten nichts, aber sie waren alle traurig. Pfui! Hatte die Großstadt doch ein häßliches Gesicht! Solche Dinge konnten in Obermauelsbach nicht geschehen. Gegen diese Großstadtlümmels waren selbst die »Hungerleider« aus Mohrenbach feine Kerle. »Karo muß einen Verband haben«, sagte Ludwig schließlich. »Hat keiner ein Taschentuch ?« Theo gab seines, und Ludwig band es Karo um das kranke Bein. Dann wurde er aus dem Leiterwagen ausgespannt. Nun mußte es wieder weitergehen, denn immer noch nicht war Dickendorf erreicht.
»Sollen wir Karo nicht auf den Leiterwagen setzen ?« fragte Mäxchen Voß. Sie wollten es tun, aber Karo wollte nicht. So mußte er denn den weiten Weg humpeln. Unterdessen war es völlig dunkel geworden und sicher schon sehr spät. Jupp und Franz zogen den Leiterwagen, Theo trug das Wallfahrtskreuz, und Ludwig gab auf Karo acht. Nur bis Dickendorf mußte man noch, dann hatte alle Not ein Ende. Wenn sie den anderen alles erzählen würden, was sie bisher erlebt, dann konnte es weder Prügel noch Schelte geben, da mußte das Mitleid siegen. Damit trösteten sich die müden Wallfahrer. Aber trotz der tröstlichen Aussichten wollten sich die wundgelaufenen Füße und die abgekämpften Beine nicht beleben. Der verflossene Tag hatte zuviel an bitteren Überraschungen gebracht, die »Verstoßenen« waren einfach »k. o .« . Wir wollen es uns ersparen, noch weiter zu schildern, wie bejammernswert sie weiterhumpelten. Wir wollen auch nicht mehr hinhorchen, was sie sich untereinander zu sagen haben. Der dicke Emil stänkerte nicht mehr, und Willem hatte das Kommandieren verlernt. Nur hier und da kam ein tüchtiger Schnaufer aus ihren verhärmten Herzen. Wo sie es doch so gut gemeint und so bitter getroffen hatten!
Plötzlich, wie abgeschnitten, war die Stadt zu Ende. Die Häuser hörten auf, und die Straße lief als graudunkles Band in freies Feld hinein und in undurchdringliche Finsternis. Nur ganz in der Ferne glommen noch irgendwo ein paar Lichtpünktchen aus der Dunkelheit, das war alles, was zu sehen war. »Ob das wohl Dickendorf ist ?« wollte der kleine Theo wissen.
»Ganz sicher«, sagte Willem mit einer Stimme, die klang, als ob es auch etwas anderes sein könne.
Da stand nach ein paar Minuten rechts am Rande der Straße ein hohes Feldkreuz. Ein paar Stufen führten zu ihm hinauf. Jupp hatte es alleine entdeckt, die anderen wären vorbeigelaufen. »Können wir uns da ein bißchen auf die Treppe setzen ?« fragte Jupp, »ich bin so müde, ich kann einfach nicht mehr.«
»Mir soll es recht sein«, antwortete Willem, der selber froh war, pausen zu können. Enggeschart hockten sie sich auf den Stufen zusammen. Es wurde jetzt merklich kühl, aber so nahe beieinander wärmte einer den andern, und Karo duckte sich müde vor Ludwigs
Weitere Kostenlose Bücher