Zwölf Wasser Zu den Anfängen
die Augen, sonst unstet und alles aufsaugend, waren glasig und seltsam starr. Wigo atmete mit weit geöffnetem Mund. Er bat um eine wärmere Decke. Felt bemerkte, dass Wigo bemüht war, den linken Arm nicht zu bewegen.
»Hast du Schmerzen?«
»Was denkst du«, sagte Wigo, »mich hat so ein Biest gebissen, natürlich habe ich Schmerzen. Aber Reva, die Geheimnisvolle, hat mich gerettet …«, er schaute an Felt vorbei zur Unda, »… dieses Strahlen, ich kann es sehen, sie leuchtet, sie ist wunderschön …« Er legte sich vorsichtig zurück. »Aber so etwas bemerkst du ja nicht. Du bist ein Klotz, Felt.«
Wigo schloss die Augen. Er sprach jetzt leise mit sich selbst – auf Pramsch, Felt verstand ihn nicht. Diese Sache nahm keinen guten Verlauf.
»Reva, was können wir tun?«
Sie schwieg.
Felt sprang auf.
»Wir müssen irgendetwas tun! Wir brauchen … eine Medizin!«
Reva schaute auf Wigo, dessen Körper unter den Decken heftig zitterte und der immer noch halblaut redete.
»Felt, du kannst etwas tun, siehst du das nicht? Du kannst – und du wirst – bei ihm bleiben. Er wird nicht allein und im Schrecken sterben wie die anderen, denn du wirst ihn begleiten. Du wirst das tun, was ein
Freund
tut. Hast du das begriffen?«
Das Rauschen des Wassers war nicht zu unterscheiden vom Rauschen seines eigenen Bluts in den Ohren. Die Freundschaft verließ den Kontinent. Aber noch war die Quelle nicht tot. Sie starb. Und sie hatte ihm einen sterbenden Freund geschenkt.
»Es gibt also keine Heilung?«
»Nein«, sagte Reva.
Und es hat nie auch nur die Aussicht darauf gegeben, ergänzte Felt in Gedanken. Das waren keine Wölfe gewesen.
Das Zittern ließ nach, der Anfall ging vorüber.
»Decke weg«, sagte Wigo wieder auf Welsisch. »Oder willst du mich ersticken?«
Felt deckte ihn auf, das Tuch darunter klebte an Wigos Körper.
»Durst?«, fragte Felt.
»Geht so«, sagte Wigo. Felt reichte ihm den Becher, er nahm einen Schluck.
»Es ist stickig hier«, sagte Wigo und legte den Kopf zurück. Die Luft in der Höhle war angenehm kühl.
»Versuch zu schlafen«, sagte Felt.
»Ich will aber nicht schlafen«, sagte Wigo mit einem derart kindlichen Trotz, dass Felt lächeln musste. »Ich muss arbeiten. Wo ist mein Schreibzeug?«
»Du musst dich ausruhen.«
»Sag du mir nicht, was ich tun muss! Gib mir mein Schreibzeug.«
Felt wühlte in den Sachen, die er Wigo ausgezogen hatte. Der Chronist trug die in weiches Leder gebundene Kladde immer bei sich, unters Wams geklemmt.
Wigo richtete sich mühsam auf und legte sich die Kladde auf den schweißnassen Bauch, blätterte darin herum. Mit einer Hand. Den linken Arm bewegte er nicht. Er wurde fahriger, eine Seite riss ein.
Dann zog er den mit Wachs überzogenen Kohlestift aus der Schlaufe, doch er fiel ihm aus der Hand.
»Licht!«, krächzte Wigo, räusperte sich, sagte, ohne aufzusehen: »Etwas Licht, bitte. Ich danke, Hohe Frau.«
Felt gab ihm den Stift zurück. Wigo presste die Spitze aufs Pergament. Sie krümelte.
»Ich habe alles begriffen«, sagte er in einem sachlichen Ton, »ich habe alles durchschaut. Alles. Ich weiß jetzt, wie alles mit allem zusammenhängt.« Er blickte Felt mit riesigen Augen an. »Es ist ganz einfach, ganz erstaunlich einfach, man kann das in einem Satz sagen. Zusammenfassen. Ich muss das aufschreiben. Nur ein Satz.«
Der Stift fiel ihm wieder aus der Hand.
»Wigo«, sagte Felt.
Wigo packte ihn, drückte Felts Handgelenk so fest, dass es schmerzte.
»Gib mir den verdammten Stift.«
Felt tat es. Wigo rammte ihn auf die Seite, als wollte er das Buch erstechen. Unter größter Anstrengung gelang es ihm, eine zittrige Line zu ziehen. Dann brach der Stift. Wigo ignorierte es und versuchte mit den Kohlebröckchen zu schreiben. Seine schweißnassen Finger fuhren über das Pergament. Das Ergebnis seiner Bemühungen war ein wirres Geschmiere, sonst nichts.
»Wigo, bitte …«
Felt griff nach dem Buch, aber Wigo riss es an sich, drückte es sich gegen die Brust.
»Meins«, sagte er scharf, »mein Buch. Mein Werk …« Er atmete schwer. »Es ist noch nicht fertig.«
»Ich verstehe«, sagte Felt.
»Nichts verstehst du«, ächzte Wigo und schloss die Augen. »Es ist … nicht … fertig.« Er verstummte. Felt wischte sich durchs Gesicht. Reva stand im Wasser und hielt ihr Licht.
»Wigo. Hörst du mich?«
Wigo antwortete nicht. Seine Hand nestelte ohne Unterlass an der Kladde auf seiner schmalen Brust,
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