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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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die sich unregelmäßig und ruckartig hob und senkte. Felt legte ihm vorsichtig die Hand auf die Stirn. Feuchtkalt.
    »Ich decke dich wieder zu. Hörst du, Wigo? Dir ist kalt.«
    Er sträubte sich nicht. Er schlug die Augen auf und starrte an die Höhlendecke.
    »Ich«, sagte er leise, »habe Angst.«
    »Ich bin hier«, sagte Felt. Ihm fiel nichts anderes ein.
    »Ich«, sagte Wigo wieder, als habe er Felts Einwurf nicht gehört, »will nicht sterben.«
    Er ließ den Kopf zur Seite fallen und blickte Felt trübe an. »Ich will nicht. Ich will nicht. Ich will   …«
    Er schluckte.
    »Oh«, sagte er rau, »ich habe noch nicht erzählt, wie alles ausging.« Ein schiefes Grinsen.
    Felt zwang sich, Wigos Blick nicht auszuweichen.
    »Doch. Du hast es erzählt. Du hast zu Ende erzählt. Sardes hat Asing aus Pram vertrieben. Sie ist als glühender Regen in den Himmel gefallen.«
    Wigo zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen. Dann, wie aus dem Nichts, wurde er von einem heftigen Schüttelkrampf überfallen. Felt hielt ihm den Kopf mit beiden Händen fest.
    Der Anfall ging vorbei, aber Wigo erlangte sein Bewusstsein nicht mehr wieder. Felt saß neben ihm und redete, erzählte ihm von Goradt, von Estrid und den Kindern, vom Schnee, vom Berg und vom Wind, bis Wigo aufhörte zu atmen.

 
    ZWÖLFTES KAPITEL
DAS ENDE DER JAGD
     
    Er wollte das Pferd gern haben, aber er konnte es nicht einfach nehmen. Für Juhut war es ein Leichtes gewesen, die verirrte Herde ausfindig zu machen, und für Babu wie eine schöne Erinnerung aus Kindertagen, den Rücken des großen Braunen zu erklimmen. Als er endlich oben saß, war er so froh, fühlte sich so vollständig, dass er das Pferd nicht mehr hergeben konnte. Ein richtiges Pferd. Nicht so wendig und fürs Erste auch nicht so schlau, wie es sein Pony gewesen war, aber wenn es sich erst einmal an ihn gewöhnt hätte, würden sie gut miteinander auskommen, da war Babu sich sicher. Die Pferde ließen sich ohne Weiteres zusammentreiben, sie waren zahm, sie wollten geführt werden. Und genau das hatte Babu getan, als der Tag graute. Jetzt wartete er am Rand des Leichenfelds darauf, dass die Sonne über die Berge stieg   – und dass der Mann endlich aus der Höhle kam. Die Aasfresser hatten sich bereits versammelt, nur das Kreisen des großen Falken hinderte sie noch daran, sich auf dieses Festmahl zu stürzen. Lange würden sie sich nicht mehr beherrschen können und die Gier würde über die Vorsicht siegen.
    Babu war überzeugt davon, dass der Kämpfer die Toten nichteinfach hatte liegen lassen und zu Fuß geflüchtet war   – dafür brauchte er nicht einmal Juhuts Bestätigung. Der Falke sprach nicht mit ihm; der Weckruf, der Babu aus dem Zwischenreich, aus der Begegnung mit dem Wolfs-Thon geholt hatte, war einmalig geblieben. Aber in den langen Zehnen ihrer gemeinsamen Wanderung hatte sich das Band zwischen dem Falken und dem Menschen verfestigt. Babu fand Gedanken in seinem verstörten Geist, einzelne Strauchbeerenbäume im endlos wogenden Gräsermeer, die Juhut dorthin gepflanzt haben musste. Juhut leitete ihn, führte ihn von Gedanken zu Gedanken, von Baum zu Baum. Juhuts Wille war für Babu jederzeit spürbar, der Falke traf Entscheidungen. Besonders dann, wenn Babu sich dazu nicht mehr in der Lage sah. Eine so lange Zeit hatten sie das Rudel verfolgt, dass Babu das eigentliche Ziel fast vergessen hatte. Die Jagd war ein allgegenwärtiger Traum gewesen, in dem die Wölfe manchmal auftauchten, manchmal unsichtbar blieben, aber immer da waren. Sie waren halb wirklich, Albtraumgestalten, und Babu hatte oft an seinem Verstand gezweifelt. Dann hatte er sich an Juhuts Willen gehängt und sich von ihm weiterziehen lassen, von Baum zu Baum.
    Mit einem echten Wolfsrudel hätte Babu niemals Schritt halten können, das wusste er, eine Verfolgung zu Fuß war unmöglich. Mehr als ein Mal hatte Babu den Eindruck, das Rudel war überhaupt nur da,
weil
er es jagte. Dass er am Gedanken dieser Jagd festhielt, hatte einen seltsam verstärkenden Einfluss auf die Wirklichkeit der Wölfe. Aber er konnte sich nicht lösen. Er war mit einem Hass im Schnee der Bergwelt aufgewacht, der Vergessen unmöglich machte. Jeden Tag dachte Babu an den Thon, den Brudermörder, den Vaterdieb, und an Jator, den Verräter, der sein Freund gewesen war   – in einer fernen Vergangenheit, als Babu noch Kafurhirte gewesen war und kein Jäger, der die Ausgeburten seiner eigenen, finsteren und einsamen Seeleverfolgte.

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