Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Schmerz in den Kopf gejagt und ihn aus seinem Dämmer geschreckt. Es war der Ruf nach Eile gewesen. Juhut hatte die Verfolger entdeckt. Sie waren hinter ihm her, sie folgten seiner Spur. Sie waren die Jäger, er war die Beute, die rätselhaften Worte der Szasla bekamen eine neue Bedeutung. Also keine Salbe, keine Rast. Sondern nur ein fest gewickelter Lederstreifen und Unruhe, die Babu nicht mehr losließ und die ihm den Schlaf raubte.
Das Land stieg an. Erst sanft, dann brutal. Reiten war hier nicht mehr möglich. Babu ging weit vorgebeugt, fast auf allen vieren, bis er ins Gras greifen musste, um sich daran weiterzuziehen. Das Pony konnte nicht mehr folgen. Es stand neben ihm am Hang, zitternd, die Ohren flach, die Augen geweitet. Ein klebriger Ausfluss lief ihm aus den Nüstern. Es schüttelte den Kopf, es röchelte, es wollte seinem Herrn folgen, es war an die Gesellschaft dieses Menschen gewöhnt und selbst den großen Raubvogel scheute es nicht mehr. Babu legte dem Tier die Hand auf die Stirn. Dann streifte er ihm die Zügel ab. Hob Sattel und Gepäck vom Rücken. Darunter war das Fell nass von Schweiß.
»Geh nach Hause«, sagte Babu und schlug ihm aufs Hinterteil. Doch das Pony sprang bergauf. Dann brach es ein. Lag auf schmerzenden, geschwollenen Knien, schnaubte den Rotz ins Gras. Babu konnte es kaum mit ansehen, aber auch nicht beenden. Das brachte er nicht übers Herz. Er griff sich das Gepäck, hob sich den Sattel selbst auf die Schultern, stapfte bergan, Tränen standen ihm in den Augen. Zehn Soldern, mehr als sein halbes Leben, hatte er mit diesem Tier verbracht. Er blieb stehen. Ließ den Sattel fallen. Drehte sich um. Sah sein Pony kämpfen.
Es versuchte wieder auf die Beine zu kommen, doch das gelang nicht, nun rutschten ihm auch die Hinterläufe weg, es lag auf der Seite, trat die Luft, als wollte es laufen wie immer. Babu konnte es doch. Er musste es können. Er ging zurück, hob das Zaumzeug auf, ging weiter, strich das Fell, hart, nass und heiß, band den Zügel um den Hals, zog fest zu. Die große Ader war gut zu sehen und der Falknerdolch war scharf wie immer. Schnell strömte das Blut, aber es dauerte dennoch zu lange, bis alles Leben aus dem Tier herausgeflossen war. Babu weinte noch, als das Pony schon aufgehört hatte zu treten. Ererhob sich. Die Wölfe würden kommen, das war sicher. Sollten sie den Kadaver haben, aber nicht die Jagd, sie nicht auch noch. Er packte seine Sachen, stieg ein in die Galaten und ließ das Lange Tal hinter sich.
ACHTES KAPITEL
DER HIRTE FINDET DIE SPUR
Weißer Regen, der liegenblieb. Schnee. Babu hatte davon gehört, aber hindurchzugehen, einzusinken bis übers Knie ins kalte, feuchte Weiß, das war etwas anderes. Es war mühsam, unendlich mühsam. Er war ein schlechter Läufer, schon in der Ebene kaum in der Lage, einen halben Tag lang einen Fuß vor den anderen zu setzen. Und nun ging es bereits seit vielen Tagen stetig aufwärts. Seine Lippen waren aufgesprungen wie altes, brüchiges Leder, obwohl er sie anfangs eingefettet hatte, als er sich noch um seine Lippen sorgte. Seine Augen tränten, schmerzten, bei jedem Lidschlag meinte er, ein Knirschen zu hören. Das Schlimmste aber war die Atemnot. Er glaubte, um Soldern gealtert zu sein. Selbst nachts, wenn er hinter einem Vorsprung kauerte und trotz seiner Erschöpfung nicht schlafen konnte, ging sein Atem ein und aus, als würde er rennen. Die Kälte dagegen griff ihn kaum an. Aus Angst zu erfrieren, hatte Babu das Reisezelt zerschnitten und es sich umgehängt. Nun wehrte es auch tagsüber Wind und Nässe ab und hielt seinen Körper warm, was ihn verwunderte, denn es war so dünn und leicht, dass er es kaum spürte. Allerdings spürte Babu auch sonst nicht mehr viel. Er hatte keinen Hunger und keinenDurst. Obwohl ihn ein trockener Husten quälte, musste er sich zum Trinken zwingen. Es half nichts. Im Gegenteil, der Husten blieb und das Wasser auch, er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal Wasser gelassen hatte, gestern? Vor zwei Tagen? Es ging einfach nicht. Nichts ging mehr. Keine Luft, keine Kraft, kein Sinn. Babu ließ sich fallen. Einen Moment nur ausruhen. So steil war der Hang, dass er beinahe aufrecht liegen konnte. Im Schnee. Der Schnee. Schnee umgab ihn, stützte ihn, umarmte ihn wie das Mädchen, das er nie gehabt hatte. Aber so musste es sein in den Armen eines Mädchens, er lehnte den Kopf an ihre Brust, weich und warm, schloss die Augen, ließ sich halten und war
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