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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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gelächelt. Aber nur kurz, dann spuckte er wieder, diesmal in seine Hand, und strich sich damit die Haare glatt und legte den Kopf schief und spitzte die Lippen wie zu einem Kussmund. Babu griff sich an seine mit Perlen und Bändern geschmückten Zöpfe und schlagartig wurde ihm klar, dass zwischen Mädchen und Jungen ein Unterschied bestand, ein großer, wesentlicher Unterschied, und dass dieser dreckige Junge dort sich über ihn lustig machte. In diesem Moment hasste Babu seine Mutter, die ihn so fein gemacht hatte fürs Fest, die seine Haare geölt und geflochten hatte, die ihm mit Kohle die Augen geschwärzt hatte, sodass sie noch größer und runder erschienen, die ihm sein Hemd bestickt und die Stiefel geputzt hatte. Und als die Menge sich auflöste, riss er sich los. Er würde nicht mit seiner Mutter ins Zelt des Thons zum Festmahl gehen und sich weiterhin begucken und beglückwünschen lassen. Er war zornig, er war
kein
Sohn des Friedens und er war
kein
Mädchen. Das würde er diesem Jungen jetzt beibringen, unmissverständlich. Er würde ihm die Faust auf die Nase setzen und dann würde man ja sehen, wer über wen lacht. Babu arbeitete sich durch die Menschen, die ohne Eile ihren Zelten zustrebten, denn heute gab es nichts anderes zu tun, als sich auf morgen zu freuen, auf ein Leben, das leicht warwie Gelbhuhnflaum. Der Filzkopf aber begann zu rennen, bald war er Babu entwischt. Babu reckte den Hals, noch war er nicht größer als die anderen, er lief, er stolperte über Zeltstangen, da vorne war der Junge, drehte sich um, lachte, verschwand zwischen Lehmhütten, den ersten Häusern Bator Bans. Babu lief hinterher, außer sich vor Wut. Um die Ecke und mit dem Kopf gegen die Brust des Jungen.
    »Ho, ho, wer hat es denn da so eilig?«
    Wieso sprach der so, so von oben herab, dieser Dreckskerl war nicht so viel älter. Und auch nicht so viel größer, umhauen würde Babu ihn.
    »Ich   … ich bin kein   …«
    »Kein was? Kein Sohn des Friedens?«
    Der Filzkopf grinste schon wieder, aber diesmal ohne Häme. Er machte eine schnelle Bewegung   – Babu hob den Arm vors Gesicht, doch der andere wollte ihn nicht schlagen. Als Babu den Arm wieder sinken ließ, sah er die ausgestreckte Hand. Er nahm sie. Fasste das schmutzige Handgelenk des Jungen und der umfasste seins und beide drückten fest zu, so wie Männer das machen: die Hand am Puls des Gegenübers, denn man darf sein Herz nicht voreinander verbergen.
    »Ich bin Jator. Wer du bist, weiß ich. Willst du was trinken?«
    Babu nickte nur. Jator ging voraus und führte ihn in seine Hütte, seine Familie hatte schon damals kein Zelt mehr. Jators Mutter machte runde Augen, als sie sah, wen ihr Sohn da mitgebracht hatte. Jators Väter klopften Babu die Schulter, und als sie ihrem Sohn den Bierkrug reichten, reichte Jator ihn an Babu weiter. Dann aßen sie gemeinsam, die Väter, die Mutter, die beiden kleinen Schwestern, Jator und Babu, der sich in seinem Leben noch nie so wohl gefühlt hatte wie im Kreis dieser lauten, herzlichen Familie.
     
    Wann war der Jator von damals verschwunden und warum hatte Babu es nicht bemerkt? Warum hatte er ihn erst von der Seite des Thons weggeholt, um nun selbst dorthin zu gehen? Wieso hatte Jator ihm erst gezeigt, wo die Verlogenheit war und wo die Wahrheit, um ihn dann zu verraten? Warum war er sein Freund gewesen und nun sein Feind?
    Babu stöhnte unter der Last der Fragen und ließ sich den Regen übers Gesicht laufen wie einen Tränenstrom, der nicht versiegen konnte, und sein nasser Mantel, das nasse Gras und der tiefe Himmel hatten dieselbe, schmutziggraue Farbe.
     
    Als die Berge endlich in Sicht kamen, waren sie bereits näher als gedacht. Über zwei Zehnen war Babu durchs regenverhangene Grasland geritten und das eintönige Grau hatte seine Sinne stumpf gemacht. So hatte er nicht bemerkt, dass das Pony sich einen Stein eingetreten hatte. Vor zwei Tagen hatte er ihn entfernt, aber durch die Fehlbelastung waren die Gelenke des einen Vorderlaufs geschwollen. Babu stieg immer wieder ab und führte das Tier am Zügel, um es zu schonen. Er wusste, er hätte gar nicht reiten dürfen, sondern eine Bandage mit einer fettigen Gerbersalbe machen müssen, um die Entzündung aus dem Bein zu ziehen. Vielleicht wäre das Pony wieder gesund geworden, wenn es Ruhe gehabt hätte, wenn es trocken hätte stehen können, wenn es gepflegt, getränkt, gefüttert worden wäre. Aber das ging nicht. Juhuts Ruf hatte Babu vor zwei Tagen den

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