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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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der Trank sein, dachte er. Die Medizin bewirkte, dass Marken hier überhaupt stehen und reden konnte.
    »Ich bin nicht nach Kwothien gekommen, um zu kämpfen. Das ist nicht mein Krieg.«
    Mit einer einzigen schnellen Bewegung stieß Hardh sich von der Fensterbank ab, zog das Schwert aus der Scheide, war bei Marken und setzte ihm die Spitze auf die Kehle. Die Klinge war heiß wie ein Brandeisen, Marken hörte es zischen und roch verkohlte Haut.
    »Das ist Krieg von allen. Das ist Krieg der Menschheit!«
    Hardhs Knurren war weder menschlich noch das eines Tiers. Es stieg aus einer schwarzen Tiefe auf, in der es kein Leben geben konnte. Er warf das Schwert abrupt von sich; klirrend fiel es auf den mosaikgeschmückten Fußboden. Der finstere Königwandte Marken nun den Rücken zu und ging langsam wieder zum Fenster. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die eines Sedrabras.
    Da lag es, sein Schwert … Im Augenwinkel sah Marken, dass die Wachen ihre Äxte in den Händen hielten.
    »Wo ist die Unda?«, fragte er und rieb sich den Hals. Er fühlte keine Verbrennung, nur seinen Schweiß.
    Hardh antwortete so lange nicht, dass Marken bereits dachte, er hätte die Frage gar nicht gestellt. Ihm war nun vollkommen bewusst, dass er unter dem Einfluss einer Droge stand, die sein Gemüt wie einen Panzer umgab. Sie hielt die scharfen Pfeilspitzen der Angst von ihm fern, die auf ihn abgeschossen wurden. In der Pause vor Hardhs Antwort aber begann er ein leises Trommeln zu hören. Das waren die Geschosse, die von ihm abprallten. Es waren viele. Marken stand im Pfeilhagel der Angst, und wenn die Wirkung des Tranks nachließe, würde er von seiner Furcht geradezu zerfetzt werden. Wo war Smirn?
    »Unda ist Vergangenheit«, grollte der König schließlich. »Unda ist verschlossen. Die Zukunft ist Feuer.«
    Marken schluckte. Er spürte einen Zorn in sich aufsteigen, den er lange nicht empfunden hatte. Noch kam er nicht durch, noch hielt der Panzer der Gelassenheit alle schlimmen Empfindungen von Marken fern.
    »Verschlossen? Was soll das heißen, habt Ihr Smirn etwa eingesperrt? Eine Hohe Frau gefangen genommen ?«
    Hardh machte ein Zeichen und eine der Wachen stieß Marken in den Rücken. Er sollte ebenfalls zu einem der schmalen Fenster gehen.
    Marken sah zwischen schön geschmiedeten Eisengittern hinaus, und während er noch vom kalten, grauen Licht geblendet war, spürte er feine Risse in seinem Panzer. Dann erblickte er das erste Mal die Hauptstadt Kwothiens.
11
    Die wuchtige Bauweise der Kwother, die Marken bereits in der Hafenstadt Hal bemerkt hatte und die in Gem-Enedh bestätigt worden war, hatte in Jirdh ihr übergroßes Vorbild. Aus den Steinen und Holzbalken, die hier verwendet worden waren, hätte man zwei oder sogar drei Städte bauen können, ohne dass sich jemand über zu dünne Wände oder niedrige Mauern beklagt hätte. Jirdh war, genau wie Smirn gesagt hatte, eine riesige Festung. In ihrer kantigen Klobigkeit wirkte die Stadt wie die ältere Schwester Prams, die ob ihres Ernstes immer verschmäht worden war und sich schließlich in ihrer Rolle als verknöcherte Jungfer eingerichtet hatte. Jirdh war nicht direkt hässlich, aber abweisend   – und uralt. Über die unzähligen Menschenalter hinweg, die diese Stadt gewachsen war, hatten die Baumeister das Aussehen der Gebäude kaum verändert; Marken vermutete aber, dass die vielen sehr hohen Bauten jüngeren Datums waren. Denn er konnte sich nicht vorstellen, dass man in alten Zeiten bereits die Kenntnisse und Mittel gehabt hatte, solche gewaltigen Bauvorhaben umzusetzen. Die Welsen jedenfalls konnten es nicht; was sie einmal von der Baukunst gewusst hatten, war verloren gegangen. Der weite Ausblick sagte Marken, dass er selbst auch in einem hohen Turm sein musste. Erstaunt stellte er fest, dass seine Sehkraft wieder zurückgekehrt war, und weil er Teldens Karte so oft studiert hatte, musste sie sich ihm schließlich doch eingeprägt haben. Marken erkannte, was das für ein silbriges Glitzern dort am Horizont war, obwohl er es nie zuvor gesehen hatte: Dort lag das Meer. Östlich der Stadt floss die Globa hinein und nach Westen öffnete sich der Kontinent über eine lange Bucht schließlich ganz dem unendlichen Westlichen Meer. Der Gedanke an das Unbekannte und die vielen Möglichkeiten, zu denen man von diesem Ufer aus aufbrechenkonnte, weckten eine Sehnsucht in Marken. Ihm fiel der Traum wieder ein, den er in dem sterbenden Wald geträumt hatte. Er war auf einer Insel

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