Zwölf Wasser
wenn er daran dachte, mit welch finsteren Gedanken er aus der tief im Berg liegenden Schmiede Borgers durch die Werkstätten und die große Lagerhalle gehetzt war. Die Marded, das Reich des Waffenmeisters Marken, sein Reich, war einst die Halle des Königs gewesen … Er lachte bitter auf, damals wie heute. Würde er heute wieder Felts Namen sagen? War Marken auch heute noch damit zufrieden, immer der Zweite hinter Felt zu bleiben? Waren sie überhaupt noch Freunde? Welsiens Schmiede waren stets mehr gewesen als starke Männer, die Eisen schlugen. Borger war weise. Er konnte lesen, hatte alte Schriften entschlüsselt und besaß Weitsicht. Der Meister hatte das eine Schwert, hatte Anda für Marken schmieden wollen …
… und Hardh, mächtiger und grausamer Herrscher der Kwother, sah wieder den König in Marken. Einen finsteren, dämonischen König.
Beunruhigt setzte Marken sich auf, legte sich das Laken um die Schultern und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Nicht einmal ein Nachtlicht hatten sie ihm angezündet, er musste im Dunkeln umhertappen. Aber das war besser als still liegen. Was sollte er jetzt tun? Wie konnte er Smirn retten, wie sie beide aus dieser Gefangenschaft befreien? War das überhaupt noch möglich? Hatte das überhaupt noch Sinn? Marken stemmte sich gegen die Welle der Verzweiflung, die über ihn hinwegbrandete. Er musste sich sammeln, musste sich genau erinnern, was der Dämonenkönig gesagt hatte und was das bedeuten konnte. Ein Mal wollte er vorausdenken, ein Mal alle Möglichkeiten durchgehen. Ein Mal – das erste und wahrscheinlich auch das letzte Mal – wollte Marken besonnen sprechen und handeln, bevorer vom grauenhaftesten Herrscher dieser Zeit in den Abgrund der eigenen Seele gestoßen würde und in der Tiefe verbrennen musste.
13
Weder Kersted noch Fander hatten Ahnung von Schiffen; Kersteds letzte Bootsfahrt hatte ihn durch Dunkelheit und Albdruck zu einem Ort geführt, an dem das Licht weich und die Luft lau waren, einem Ort, über dem ein Zauber lag: Torviks Quelle der Hoffnung. Aber das Boot damals war klein gewesen, ein schlichtes Ruderboot. Das Schiff, mit dem sie nun den Naryn befahren sollten, war viel größer, hatte zehn Ruderplätze und ein Segel. Bug und Heck waren sichelförmig hochgezogen, dort gab es jeweils einen Stauraum unter Deck; die Ruderbänke aber waren nicht überdacht, man saß oder hockte paarweise im offenen Schiffsrumpf, jeder Ruderer mit beiden Händen an einem Riemen.
Lediglich zwei nord-kwothische Männer hatten das Schiff von einem Stützpunkt, einem Naturhafen nah der Mündung des Naryns, flussaufwärts gebracht – wie, das war Kersted ein Rätsel. Die Kwother befuhren diesen unteren Abschnitt des Naryns häufig; es war der schnellste Weg bis zum westlichsten Zipfel des Landes. Kersted erfuhr, dass die Nord-Kwother auch an ihrer Küste patrouillierten und dass es auf See bereits zu mehreren Scharmützeln gekommen war. In der Bucht von Sarandh lagen sich die Städte Gham-Sarandh und Jirdh als ungleiche Kontrahenten gegenüber; die Königsfluchten-Inseln vor der Bucht wurden von Jirdh gehalten.
»Warst du schon einmal am Meer?«, fragte Kersted Nendsing.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nie. Ich bin über Bosre nichthinausgekommen. Eigentlich habe ich mein ganzes Leben in der Hama verbracht, die meiste Zeit habe ich oben auf einem Turm gesessen. Aber ich war öfters draußen auf dem Pramsee, der ist groß … Da haben wir manchmal so getan, als wären wir auf dem Meer.«
Sie lächelte in Erinnerung an diese Seeausflüge. Wer wir gewesen war, wollte Kersted nicht wissen.
»Ich war schon da, am Meer, und ich könnte gut darauf verzichten«, sagte Glaron im Vorbeigehen. Den Proviant hatte er bereits verladen, nun schaffte er seine Gerätschaften an Bord, wobei er jede Hilfe ablehnte. Der Koch war auch nicht bereit, mit Dern nach Gham-Sarandh zu reiten oder gar nach Pram zurückzukehren. Was er denn falsch gemacht habe, fragte er mit schreckensweiten Augen, als Kersted es ihm vorgeschlagen hatte, wie er denn durch den Krieg und ganz allein nach Pram kommen solle. Kersted hatte ihm beruhigend die Schulter geklopft. Nein, er müsse nicht allein durch den Krieg, sie würden alle zusammenbleiben. Sie würden gemeinsam den Naryn hinabfahren und die Quelle der Friedfertigkeit aufsuchen – keiner würde weiter gehen als ein anderer; keiner würde allein sterben. Kersted hatte die Worte des Läufers für sich behalten und auch Nendsing
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