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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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gewesen.
10
    Marken war nicht müde, im Gegenteil, aber gelassen wie selten zuvor. Nachdem er seit mindestens zwei Zehnen nur die nackten Wände seines Zimmers und vor den Fenstern nichts als die nahe Mauer eines anderen Gebäudes gesehen hatte, erschienen ihm selbst menschenleere Räume bunt und laut. Er wurde durch fensterlose, von rußenden Fackeln erhellte Gänge und Zimmerfolgen geführt; er hörte Kaminfeuer knistern, sah bilderreiche Wandteppiche, lief über farbige Bodenmosaike. Dies war weder ein Siechenheim noch ein Gefängnis oder ein Wohnhaus. Die Räume strahlten eine düstere Pracht aus und allmählich dämmerte es Marken: Er war in Jirdh und höchstwahrscheinlich im Palast des Herrschers. Jenem Hardh, der nun die Kwother anführte und Sohn des berühmten Horghad war, dessen Vater also ehemals Heerführer der Allianz und Dhurmmet in der großen Feuerschlacht gewesen war. Marken durchschritt den Amtssitz des selbsternannten Königs Hardh, der einen Krieg gegen die Nord-Kwother führte und seinen eigenen Vater bei lebendigem Leib verspeist haben sollte.
    Hardh, der das Böse ganz in sich aufgenommen hatte.
    Hardh, vor dem sich Menschen und Dämonen gleichermaßen fürchteten.
    Die Wache ging voraus durch einen weiteren Türbogen, Marken folgte   – und da war er. Der Welsenoffizier erstarrte, er wusste auf den ersten Blick: Wenn dieser Mann die kwothischen Truppen anführen würde, war der Krieg bereits entschieden.
    Hardh stand am Fenster eines nicht sehr großen Raums und schaute hinaus. Dies war kein Thronsaal, nicht einmal ein Empfangsraum, sondern ein Privatgemach. Vor einer mit bestickten Decken und Kissen überhäuften Liege stand ein bronzenesTablett mit den Resten eines Mahls; auf niedrigen Tischchen stapelten sich Bücher und Schriftstücke. Überall brannten Öllampen und verbreiteten ihren stillen, matten Schein. Sie erhellten das Zimmer allerdings kaum und durch die schmalen Fensterschlitze drang wenig Licht. Der Himmel war, soweit Marken das sehen konnte, bleigrau. Hardh hatte einen Arm auf die tiefe Fensterbank gestützt. Im anderen hielt er behutsam wie ein Neugeborenes Markens Schwert. Sein geflochtener Bart und das Haupthaar waren grau, sein Profil wie aus Basalt gemeißelt. Er trug den typischen Harnisch der Kwother, eine um dunkelbraune Lederelemente ergänzte Welsenrüstung. Zu seinen Füßen lag der Helm und die Axt lehnte gegen die Wand. Hardh war bereit für die Schlacht.
    Er wandte sich seinem Gefangenen zu und sah ihn lange an.
    Und es schien Marken, als schaue er abermals in den brodelnden Kessel des wiedererwachten Vulkans, der das Tal der Lahwiach-Dhe-Brücke vernichtet und Endhemone in den Tod getrieben hatte. Er spürte die mörderische Hitze verflüssigten Steins und roch die giftigen Gase. Die Wirkung von Hardhs Blick war so intensiv, dass Marken sogar meinte, mit jedem Atemzug glühende Steinplatten auf seiner Brust gegeneinander verschieben zu müssen. Ihm brach der Schweiß aus. Sein Auge begann zu tränen. Allein die blinde Wut, die Mordlust, die Ormns Nähe ausgelöst hatte, blieb aus. Markens Gedanken waren klar, kein Vorhang aus Blut verschleierte ihm die Sicht auf den Kwotherkönig. Erst als der zu sprechen begann, schien etwas in Markens Seele in Flammen aufzugehen wie ein Bündel Stroh.
    »Dein Schwert willst du wiederhaben, Welse, nar?«
    Er sprach ein mit starkem Akzent gefärbtes Welsisch, doch das war es nicht allein. Hardhs Stimme war angeraut wie die aller Kwother, aber darunter lag noch eine zweite, viel tiefere.Ein unmenschliches Grollen begleitete seine Worte, und so unglaubwürdig es Marken zunächst vorgekommen war, bald war er überzeugt: Aus Hardh sprach nicht nur er selbst, sondern auch der Dämon, den er sich einverleibt hatte.
    Natürlich wollte Marken das Schwert zurück, aber er war nicht in der Lage zu antworten. Hardhs brennender Blick hielt ihn gefangen. Schließlich drehte der Kwotherkönig den Kopf und sah wieder aus dem Fenster. Marken wischte sich den Schweiß ab.
    »Was muss ich tun für mein Schwert?«, fragte er mit belegter Stimme.
    Hardh gab ein hallendes Rasseln von sich, das aus einem wesentlich größeren Körper zu kommen schien.
    »Dich unterwerfen. Mir unterwerfen. Was sonst? Kämpfen gegen Dern, kämpfen im Krieg. Ersatz sein für Ormn . «
    Der Name des Hauptmanns klang aus Hardhs Mund wie ferner Donner. Aber solange Hardh seinen Blick nicht auf ihn richtete, blieb Marken von beklemmenden Hitzegefühlen verschont. Das muss

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