Zwölf Wasser
Erschütterung, gefolgt von einem polternden Beben, holte Babu zurück. Er selbst lag ganz still, ließ die Augen geschlossen, lauschte. Es hörte sich an, als sei er im Innern eines alten Karrens, der ächzend und knarrend über eine schadhafte Straße rumpelte. Nur dass dieser Karren sehr groß sein musste. Konnte man Größe hören? Babu stöhnte. Die Riesenkrebse liefen durch die Schluchten seiner Erinnerung. Er griff sich an die Stirn, fühlte einen dicken Verband. Hatte Felt ihn etwa gefunden? Und ihn abermals davon abgehalten, ein Ende zu machen? Zähe, schwarze Verzweiflung füllte Babus Brust und er atmete schluchzend ein. Konnte dieser sture, große Mann Babu nicht einfach in Ruhe lassen? Was wusste Felt denn schon von dem, was Babu anrichtete? Welches Unglück er in die Welt brachte?
Babu strich mit den Händen über seine Zudecke und seine Lagerstatt. Glatter, kühler Stoff, feines Leinen. Das fühlte sich fremd an. Er war versorgt worden und ruhte nun zwischen sauberen Laken in einem riesigen Karren, dessen Rumpeln inzwischen in einen Rhythmus gefunden hatte und Babu sanftschüttelte. Er beruhigte sich etwas und beschloss, einfach liegen zu bleiben und die Augen geschlossen zu halten. Er würde versuchen, die Welt zu vergessen – vielleicht vergaß sie dann auch ihn.
Er bemühte sich, nur ganz flach zu atmen, und ahnte, dass seine Gedanken wirr und kindisch waren. Aber bevor der nächste Schwall Verzweiflung Babu erfüllen konnte, war er wieder eingeschlafen.
Die Schwärze, die ihn umgibt, ist von einer seltsamen Spannung erfüllt. Es ist so still, dass sein eigener Wimpernschlag ein Geräusch zu machen scheint. Er versucht, alles anzuhalten: seinen Atem, den Lidschlag, sein Herz. Aber das gelingt nicht, resigniert stellt er fest, dass er seinen Körper nicht vollends kontrollieren kann. Er wünscht sich, ihn an- und ausziehen zu können wie eine Jacke. Aber das Gegenteil ist der Fall: In dieser angespannten Dunkelheit wird ihm sein Körper sogar besonders bewusst, denn er kann ihn nicht sehen, nur spüren. Die Schwärze treibt einen Keil zwischen ihn und seinen Körper; er ist eine Last und keine Jacke, sondern ein stinkender Sack, in dem er gefangen ist. Er wollte immer nur frei sein. Doch jetzt ist er einfach nur allein.
Du bist das Tor .
Die Frau ist da. Die angespannte Schwärze war ihr Schweigen. Nun hat sie es durchbrochen. Jetzt hört er sie atmen, er ist nicht mehr allein. Sie ist zu ihm gekommen und er spürt ihre Wärme. Sie kommt immer näher, ihre Anwesenheit brennt wie Feuer auf seiner Haut, ist erregend und beängstigend zugleich. Er fürchtet sich davor, dass sich das schützende Dunkel verzieht und er sie sehen kann – gleichzeitig kann er es kaum erwarten. Er weiß, dass sie wirklich wird in dem Augenblick, in dem er sie sieht, sie erkennt. Er kann der Stimme einen Körpergeben, durch ihn tritt sie aus den Schatten und hinein in die Welt.
Denn er ist das Tor.
Das Rumpeln war leiser geworden. Als würde der Karren nur noch mit einem Rad fahren oder als würde eins übers Pflaster rollen, während sich das andere lautlos über kurzes Gras bewegte. Babu hatte Schmerzen, aber sie waren erträglich. Es waren klopfende Wundschmerzen, nicht zu vergleichen mit dem schweren Klumpen, der sonst hinter seiner Stirn lag und zu einem scharfkantigen Rollen im ganzen Schädel werden konnte, wenn Juhut zu ihm sprach. Oder wenn Babu seine Seele an das Band zum Falken knüpfte und zu ihm aufsteigen ließ. Waren diese Schmerzen überhaupt noch da? War der Klumpen – der mal schwer, mal leichter hinter Babus Stirn lag und der ein zwar behelfsmäßiger, aber doch wirkungsvoller Anker für die Verbindungsleine zur Szasla war – denn überhaupt noch da? War Juhut noch da? Babu hob den Kopf etwas vom Kissen, öffnete die Augen – und machte sie gleich wieder zu. Er wollte doch nichts sehen! Er wollte doch die Welt vergessen! Aber er sehnte sich nach Juhut … Genau wie Felt, wie Reva – wie alle! – ließ auch der Falke ihn nicht in Ruhe. Selbst wenn Babu versuchte, die Welt zu vergessen, die Szasla zu vergessen war unmöglich.
Nachdem ihm seine Lage klar geworden war, hatte Babu alles darangesetzt, Juhut wenigstens eine Zeit lang abzuhängen. Er hatte die kleine Höhle gefunden und war hineingekrochen, tief hinein in den Stein. Dort hatte er sich den Dolch an die Stirn gesetzt. In die Höhle konnte Juhut ihm nicht folgen und, was noch wichtiger war, er konnte Babu auch nicht
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