Zwölf Wasser
anschauen. Das lidlose Auge des Falken sah zu viel, es blickte bis auf den Grund der Seele, und was dort lag, wollte Babu verbergen. Babu hatteden Flügelschlag gehört, dann hatte er den kalten Stahl gespürt. Die Klinge, die niemals stumpf wurde, schnitt tief.
Babu wollte nicht das Tor sein. An der Quelle der Freundschaft hatte Babu gesehen, was durch ihn in die Welt gelangen konnte. Das eine Mal hatte er es zu spät begriffen und nicht mehr verhindern können, dass viele Menschen den Tod fanden. Dieses Mal durfte das nicht geschehen. Die Wölfe. Die Krebse. Babu hatte sie gesehen, beide Kreaturen waren ihm nicht nur in einer Schreckensvision erschienen, sondern schließlich auch in die Wirklichkeit gelangt. Als Felt mit erhobenem Schwert auf das furchtbare Biest zugerannt war, hatte Babu plötzlich begriffen, dass es nur die eine Lösung gab: Er musste den Keil, der das Tor offen hielt, aus seiner Stirn herausschneiden.
War ihm das gelungen? Babu wusste es nicht. Aber ja, vielleicht war es ihm gelungen! Er tastete über den dicken Verband. Es war nicht zu entscheiden, ob dort noch ein Splitter war, ein Horn unter der Haut, oder nicht. Er spürte nur das Klopfen des Schmerzes in seiner Stirn, das sich nun im Takt seines schneller schlagenden Herzens verstärkte. Wieder versuchte Babu, den Schmerz zu deuten, ihn zu unterscheiden von den Kopfschmerzen, die ihn mit Juhut verbanden und an die er sich gewöhnt hatte wie eine alte Frau an ihre verschlissene Hüfte – man humpelte ein wenig, aber es ging schon.
Da! Da war er. Der Anker.
Kaum wahrnehmbar im Trommeln des Wundschmerzes, aber doch fühlbar. Der Klumpen schien zu einer Kapsel geschrumpft zu sein. Dass die wieder aufbrechen könnte, daran dachte Babu nur flüchtig, denn der sich mit seinem Pochen derart in den Vordergrund drängende Schmerz bewirkte vor allem eins: Babu glaubte immer fester daran, es geschafft zu haben. Es ist geglückt, trommelte es in Babus Stirn, es ist geglückt. Er richtete sich etwas auf, die Augen immer noch geschlossen, aber unruhig hinter flatternden Lidern. Du hast es geschafft, klopfte es. Das Pochen war bestimmt kein Schmerz, der Sorgen bereiten musste. Das war schon beinahe die Heilung. Wenn Babu den Splitter los war, brauchte er hier nicht mehr liegen und verzweifeln und sich von der Welt abwenden! Wenn es geglückt war, dann durfte er zurück, durfte teilhaben, musste nicht allein sein. Er öffnete die Augen, schaute sich um.
Über ihm rohe, schwere Balken, dazwischen Stroh. Ein Dachstuhl. Durch ein staubiges Fenster, das wegen der niedrigen Wand unter der Dachschräge beinahe bis an den Dielenboden reichte, fiel mildes Tageslicht. Babu lag ungewohnt hoch über dem Boden und nah unter der geneigten Decke, es dauerte, bis er begriff: Er lag in einem Bett. Er hatte schon welche gesehen; Merzer, die Lehmhäuser bauten, stellten auch Betten auf. Babu selbst aber hatte noch nie in einem Bett gelegen. Er kam sich vor, als würde er schweben. Ihm war schwindelig. Vorsichtig richtete er sich weiter bis zum Sitzen auf. Er bemerkte absonderliche Dinge: In der entfernten Zimmerecke lag ein Rad mit kurzen, dicken Speichen und drehte sich. Aus einer Lücke im Boden ragten aufrechte Balken und bewegten sich auf und ab. Dann schaukelte mit einem Mal ein Kopf über den Dielenbrettern, und noch bevor Babu sich wirklich erschrecken konnte, erkannte er, dass dort ein Mädchen eine Leiter hinauf in die Dachkammer stieg. Als sie bemerkte, dass Babu wach war, zuckte sie erst zusammen und kam dann mit schnellen Schritten an sein Bett. Ihr glattes, helles Haar war über den wasserblauen Augen und auf Kinnhöhe gerade abgeschnitten und saß ihr wie ein Helm auf dem Kopf. Ihre Wangen waren rund und rosig, die Lippen voll. Sie lächelte nicht. Das Mädchen trug schwere Stiefel an den Füßen, den langen, grob gewebten Rock hatte es zwischen den Beinen hochgenommen und vorn in den Gürtel geklemmt. Die aufgekrempelten Ärmel der Bluse gabenkräftige Unterarme frei, die Hände waren rot und glänzten wie eingefettet.
»Hier«, sagte sie und hielt Babu eine mit einer dicken Scheibe Brot abgedeckte Schüssel hin. »Gut, dass du wach bist, dann brauche ich dich nicht füttern. Ich habe wahrlich genug zu tun.«
Babu nahm die Schale aus ihren Händen und sie wandte sich zum Gehen.
»Du wolltest mich füttern? Beim Schlafen? Wie das?«
Sie hielt inne, statt eine Antwort zu geben, und berührte dann prüfend Babus Wange. Ihre Hand war überraschend
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