Zwölf Wasser
war noch nass und legte sich noch helmartiger um ihren Kopf als sonst. Babu stieg eilig aus dem Becken, er fröstelte und griff sich sein Hemd.
»Es tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin.«
Teleia zog einen hölzernen Stopfen aus der Beckenwand und das Wasser lief einfach über den Steinboden und die Türschwelle aus der Badehütte hinaus.
»Alles Reden nützt nichts, wenn du nicht meinst, was du sagst. Das macht dich nicht leicht.« Sie blickte ihn an, ohne Vorwurf. »Ich verstehe es doch ohnehin nicht, du musst nicht die Unwahrheit sagen.«
Babu dachte über ihre Worte nach, während er sich anzog. Sie hatte zwar nicht verstanden, was er gesagt hatte, aber der Klang hatte ihr verraten, dass es nur eine Floskel gewesen war. Sie hatte recht: In Wahrheit war er froh, dass er geschlafen hatte – traumlos. So kurz dieser Schlaf auch gewesen sein mochte.
Teleia stand an der Türöffnung, beobachtete, wie das Wasser dampfend ins gefrorene Gras des Hangs floss, und wartete aufBabu. Draußen war das Mondlicht matter geworden; der Morgen kündigte sich an. Als er fertig angezogen war, kam sie auf ihn zu und schlang die Arme um ihn.
»Wie das Mädchen hast auch du niemanden, der deine Eigenheit liebt«, sagte sie. »Das kann ich gut nachfühlen, aber ändern kannst es nur du selbst.«
Teleia duftete auch nach dem Bad immer noch nach süßem Lindnussöl. Sie löste sich wieder von Babu, hielt ihn aber bei den Händen fest und schaute ihn offen an.
»Du sprichst zu mir und sagst nicht, was du fühlst. Eben hast du dich vor meinen Augen ausgezogen und mir doch nichts von dir gezeigt. Ich selbst werde es nicht tun, ich kann es nicht, aber ich gebe dir den Rat: Wenn ein Mädchen deine Eigenheit lieben soll, dann musst du auch deinen Kopf entkleiden.«
Sie ließ ihn los und unwillkürlich griff sich Babu an den Verband um seine Stirn. Er war ganz feucht geworden.
»Du versuchst, dich vor der Welt zu verbergen«, sagte Teleia. »Du denkst: Was die Welt nicht sieht, das ist auch nicht da. Leugnen ist aber nicht nur unklug, sondern auch respektlos. Wenn du mich anlügst, verletzt du meine Würde.«
Babus Herz machte einen überraschten Sprung, er war schlagartig wach geworden. Es war doch vollkommen klar, wen er hier vor sich hatte! Wie dumm, wie unaufmerksam er gewesen war! Er wollte etwas sagen, aber Teleia hob gebieterisch eine ihrer roten, geschäftigen Hände und sprach weiter.
»Meine Würde ist mir aber ganz unwichtig. Viel wichtiger ist: Du musst begreifen, dass sich die Wahrhaftigkeit vor allem nach innen richtet. Du verleugnest dich selbst, verbirgst dich vor dir selbst – und das schadet vor allem dir selbst. Dass du es nicht leicht hast, ist keine Entschuldigung. Niemand hat es leicht.«
»Ich bin mit Lügen aufgewachsen«, sagte Babu. Er horchtedem Satz hinterher und stellte fest, dass es nicht wie eine Entschuldigung geklungen hatte. Eher wie ein Vorwurf.
Teleia zuckte die Schultern. Es war eine vielsagende Geste und Babu entschied sich für die Deutung: Es ist gesagt, was zu sagen war . Er stieg mit einem Fuß ins leer gelaufene Becken und griff nach zwei Steinen. Dann reichte er sie der Quellhüterin der Wahrhaftigkeit und gemeinsam räumten sie sie allesamt zurück in den Ofen. Babu half Teleia Holz auflegen, das Feuer anfachen und folgte ihr schweigend im ersten Licht des neuen Tags zurück zur Mühle. Er sah kurz in den sich allmählich rötenden Himmel, aber der Falke war nicht zu sehen.
9
»Er hat die ganze Nacht mit mir verbracht, er schläft jetzt, oben in seiner Kammer. Wir haben gearbeitet. Reden tut er nicht gern.«
Teleia formte mit ihren geschickten Händen kleine Teiglinge und legte sie in sehr geraden Reihen und mit jeweils genau demselben Abstand auf lange Bretter. Felt hatte herausgefunden, dass der frühe Morgen, wenn sie im Ofenhaus war und buk, die beste Zeit war, um mit der Hüterin zu sprechen – sobald sie wieder nach nebenan in die Mühle ging, wurde es zu laut. Und auch zu gefährlich; Felt wollte sie nicht ablenken, wenn sie mit den Keilen hantierte oder vor dem schweren Mühlstein den Nussbrei zusammenschob. Sie würde erst wieder im Lendern ruhen, das wusste er inzwischen. Melrunden hatte erzählt, Teleia lege sich schlafen, wenn der Schnee schmelze, und erhebe sich erst wieder, wenn die Sedrowes sich belaubt hatten. Dann wanderte sie unter dem dichten Blätterdach umher und ihr Flüstern vermischte sich mit dem Rascheln der Bäume. Sie liebte ihreLindbäume und
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