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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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das Tal verlassen. Er hat seinen Freund erstochen. Und er wollte auch sich selbst das Leben nehmen.«
    »Davon musste ich ihn auch schon abhalten«, sagte Felt. »Als wir durch den Boirad an den großen Steinbogen gelangt waren und Juhut einfach hindurch und nach Wiatraïn geflogen ist, da wollte sich Babu dem Falken hinterherstürzen. Aber das konnte ich sogar nachempfinden. Wir hatten beide etwas Wichtiges verloren; er den Falken und ich dich, Reva. Nun, ich habe dich wiedergefunden   – auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wie   – und er hat Juhut wiedergefunden. Und alle gemeinsam sind wir auf den Kontinent zurückgekehrt. Wir wollten doch kämpfen, für die Menschen, für das Leben. Warum will er nicht mehr? Warum will er sich nun töten?«
    »Weil das der einzige Ausweg ist.«
    Alle fuhren herum. In der Tür stand Babu, die Haare wirr und ungebändigt: Nichts verbarg die hässliche rote Narbe über der Erhebung auf Babus Stirn. Es sah immer noch aus wie ein Auge, wenn auch nun wie ein geschlossenes.
    »Babu, wir haben gedacht, du brauchst Ruhe«, sagte Feltund machte einen Schritt auf den jungen Merzer zu. »Ich dachte, du schläfst.«
    »Das habe ich auch«, sagte Babu. »Aber ich habe geträumt.«
10
    »Ich habe dir vieles erzählt, Reva. Aber nicht alles.«
    Babu war eingetreten und hatte sich nah beim großen Ofen auf einen dreibeinigen Hocker gesetzt. Er sah zu Teleia, die weiterhin ihre Brote formte. Sie würde nicht verstehen, was er sagte. Aber sie würde wissen, wenn er log.
    Er wird die Wahrheit sagen, dachte Felt, er hält nichts mehr zurück. Babu wirkte sehr müde, aber entschlossen und ernst. Dieser junge Mann trug eine Bürde, die er nicht tragen sollte. Als er ihn so betrübt, aber gefasst dasitzen sah, erkannte Felt endlich, was er für Babu empfand. Es war nicht Freundschaft, sondern Fürsorge. Wer hatte dem Jungen bloß so viel aufgelastet?
    »Was hast du verschwiegen, Babu?«, fragte Reva. Sie ging lautlos auf und ab; Felt lehnte an einer Wand. Er wollte der Hüterin bei der Arbeit nicht im Weg sein.
    Babu seufzte.
    »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Es ist so viel. Es ist so durcheinander. Ich verliere Juhut, ich spüre es. Und es wird nicht mehr richtig hell in meinen Gedanken.«
    »Beginne einfach irgendwo«, sagte Reva. »Zum Beispiel bei Juhut. Was ist mit ihm? Er steigt hoch, höher als sonst. Wir bekommen ihn überhaupt nicht mehr zu Gesicht.«
    »Er macht mir Angst«, sagte Babu mit einem Beben in der Stimme. »Und ich will nicht, dass er mich so sieht. So …« Er machte eine hilflose Geste, vollendete den Satz aber nicht.
    »Babu, seit wann trägst du diesen schwarzen Stein in der Stirn?« Reva fragte sanft, aber nachdrücklich.
    Wieder seufzte Babu und fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Narbe. So oft hatte Felt diese Geste bei Babu gesehen. Aber immer war die Erhebung unter dem Stirnband verborgen gewesen.
    »Das war …«, begann er zögernd, »ein ganz besonders dunkler Moment, ich erinnere mich vor allem an eines: Schmerz. Einen aus vielen Schichten bestehenden Schmerz, er rollt durch meinen Kopf wie eine schwere, mit Stacheln besetzte Kugel. Juhut hat mit diesem Schmerz zu tun, aber auch der Thon und Jator. Der Kern, der innerste, tiefste Schmerz, um den sich alles herumgeschichtet hat, der trägt den Namen meiner Mutter. Das ist mir aber erst jetzt klar geworden, jetzt, wo ich in meinen Träumen die Stimme einer Frau höre. Erst dachte ich, dir würde die Stimme gehören, Reva. Dann dachte ich an meine Mutter. Aber ihr beide seid es nicht. Sondern der Dämon. Sie ist es, die zu mir spricht: Asing.«
    Reva war stehen geblieben, Felt stockte der Atem. Und sogar Teleia hielt kurz inne, als Babu den Namen aussprach.
    »Sie hat es mir selbst gesagt«, fuhr Babu fort, seine Stimme brach nun beinahe. »Sie sagt, ich sei … das Tor, durch das sie zurück in die Welt gelangen könnte, und ich glaube, nein, ich weiß es: Der Splitter in meiner Stirn ist der Keil, der dieses Tor offen hält.«
    Babus braune Augen waren weit aufgerissen, er war sehr blass.
    »Ich verstehe nicht … ein Tor? Ein Keil? Was meinst du denn damit, Babu?« Felt wusste zwar nicht, noch nicht, auf was Babu hinauswollte, aber ihm war jetzt schon klar, dass es ihm nicht gefallen würde.
    Ohne Felt anzusehen, sagte Reva: »Du solltest zuerst fragen: Ein Splitter? Wovon?«
    »Blut«, sagte Babu leise.
    »Blut?« Felt stieß sich von der Wand ab. Da begriff er. »Wolfsblut«, sagte er tonlos. Er

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