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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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zu reichen, sondern überzuschütten. Marken ertrug alles ohne Gegenwehr, er murrte nicht einmal. Er sah nur Smirn, er dachte nur an Smirn. Er sprach nur zu Smirn.
    »Nein, das ist nicht ganz die Wahrheit, genau darauf wollte ich hinaus: Ich kenne sehr wohl jemanden, der die Asche von Verstorbenen aufbewahrt hat. Er heißt Dem und ist der Meister der Schmelzer. Ein hässlicher Mann   – das Leben am Ofen hinterlässt Spuren.« Marken unterbrach sich, fuhr sich mit den gefesselten Händen über Wangen und Kopf. »Du musst nur mich anschauen, Smirn. Schau mich an, bitte, schau mich doch nur ein Mal kurz an … Nun, inzwischen bin ich auch verbrannt, ich werde Dem recht ähnlich sein. Nur blind wie er bin ich nicht geworden, obwohl ich eine Zeit lang glaubte, das linke Auge zu verlieren. Die schweigenden Schwestern haben Wunder vollbracht. War die Heilkunst in Kwothien schon immer so weit fortgeschritten? Das musst du mir irgendwann einmal erklären, aber erst muss ich dir von der Asche, vom neuen Stahl und von dem Schwert erzählen. Vom Schwert für den König.«
    Und Marken erzählte von Anda, das Borger und sein SohnRemled für Felt geschmiedet hatten und in dessen Stahl Dem die Asche eines Kindes, eines Mannes und eines Greises eingeschmolzen hatte. Marken beschrieb die Waffe in allen Einzelheiten und so genau, als habe er sie direkt vor Augen. Er wollte gerade noch sagen, dass er nicht nur das Schwert, sondern vor allem seinen Träger gern in dieser Welt wiedergesehen hätte, dass es aber auch in Ordnung sei, wenn es erst in der nächsten geschähe, als es an Bord des Segelschiffs laut und hektisch wurde. Marken richtete sich auf, um über die Reling schauen zu können. Weit entfernt sah er die Küste als graugrünen Streifen, genau wie an allen Tagen bisher. Aber davor waren jetzt Schiffe zu erkennen. In einem von Wolken über die grauen Wogen gehetzten Lichtflecken leuchteten die fernen Segel weiß auf. Marken kniff die Augen zusammen; doch ja, dort waren Schiffe.
2
    Marken hatte sich nicht für den Kurs interessiert, für das Ziel ihrer Fahrt oder überhaupt für irgendetwas, das an Bord vor sich ging. Er war nie zuvor auf einem solch großen Segelschiff gewesen, war überhaupt nie draußen auf dem Meer gewesen. Wie und wohin die Männer segelten, ob der Wind stark oder schwach war   – er hatte es nicht wahrgenommen. Einmal hatte es heftig geregnet, aber Marken hatte sich nur das Wasser abgewischt und gegen das Prasseln angeredet. Ganz kurz hatte er geglaubt, eine Regung in Smirns Gesicht zu bemerken. Aber er hatte sich wohl von dem Wasser täuschen lassen, das ihr über Stirn und Wangen strömte. Der Wolkenbruch war vorübergegangen und nichts hatte sich verändert. Was hatte der Dämonenkönig ihr bloß angetan? Wie hatte er Smirns Geist so verwirren können? Unda ist verschlossen . Marken wusste nicht, was er tun konnte, um sie wieder zu befreien.
    Auch die fernen Segel und die ausbrechende Hektik drangen nicht zu ihr durch. Markens Aufmerksamkeit dagegen wurde zum ersten Mal seit Tagen von der Unda abgelenkt. Konnten das Nord-Kwother sein? Gab es etwa eine Aussicht auf Rettung? Er versuchte, sich an Teldens Karte zu erinnern. Jirdh lag am östlichen Ende der langen Bucht von Sarandh. Die Küste, die er immer wieder einmal gesehen hatte, musste zu Nord-Kwothien gehören. Ja, es war sogar sehr wahrscheinlich, dass diese Segler eine Patrouille waren und die nördliche Küste bewachten. Markens Herzschlag beschleunigte sich. Stand ein Gefecht bevor? Er hatte so wenig Ahnung von Kriegsführung zur See; er hatte so wenig Ahnung von fast allem, was in dieser Welt vorging. Doch das beschäftigte ihn nicht mehr in dem Maß wie zu Beginn dieser Reise, als er sich ständig unfähig und schlecht vorbereitet gefühlt hatte. Auf das, was bisher geschehen war, konnte man sich nicht vorbereiten. Das konnte man nur überstehen. Marken hatte im flammenden Blick des Dämonenkönigs gebrannt   – er glaubte nicht mehr daran, dass diese Welt zu retten war. Seine Ziele waren bescheiden geworden: So lange wie möglich bei Smirn bleiben. So lange wie möglich Mensch bleiben. So aufrecht wie möglich untergehen.
    Von diesem Schiff hinunter und auf die nord-kwothische Seite zu kommen würde nichts am großen Ganzen ändern   – am Krieg, am Untergang der Menschheit   –, aber immerhin würde es dem dämonischen Hardh ein wenig den Spaß verderben. Denn so würde Marken nicht nach seiner Verbannung als letzter Überlebender

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