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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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aber nicht luftig, sondern so, als habe es einen Kern. Im Innern flackerte etwas unregelmäßig und blass wie weit entfernt in den Wolken aufflammende Blitzschläge. Und ganz wie eine dicke, dunkle Gewitterwolke wechselte auch das eigenartige Wesen ständig seine Form; es schien sich in- und übereinanderzurollen, sich zu verbreitern oder zu verlängern und an der Stange zu rütteln. Aber es zerfaserte nicht und löste sich nicht auf. Und es blieb völlig lautlos. Gerade dies, die Stummheit bei gleichzeitigem Toben, machte es unheimlich. Die Seeleute, die es mühsam an der Stange festhielten, riefen nach ihren Kameraden und zwei Männer mit Bootshaken sprangen ihnen bei. Furchtsam duckte sich die dunkle Kreatur unter den eisernen Spitzen weg, das innere Flackern beschleunigte sich wie ein Herzschlag. Gebannt beobachtete Marken, wie nun der Kapitän vortrat, einen kleinen, dreizackigen Wurfanker mit Seil in den Händen. Er wechselte einen Blick mit seinem Steuermann und der nickte. Der Rest der Mannschaft hing in der Takelage und verfolgte dasGeschehen von dort ebenso gespannt wie Marken. Das übliche Geschrei war verstummt, man hörte nur das Lied der See: das Rauschen des Winds in Segeln und Tauwerk, das Schlagen des Wassers gegen den Bug und das Knarzen im Holz. Der Kapitän drehte mit geübten Schwüngen den Anker an der Leine und warf ihn dann kraftvoll gegen das von den vier Männern im Zaum gehaltene Dunkelwesen.
    Der Anker verfing, der Kapitän zog mit einem Ruck am Seil. Grell blitzte es im Innern auf, dann hatte der Anker ein Stück aus dem Wesen herausgerissen. Das dunkle Geschöpf wand sich und tobte in sich hinein. Aber es blieb, wo es war, gehalten von der Stange und bedroht von den zwei Bootshaken. Den herausgerissenen dunklen Fetzen jedoch schleuderte der Kapitän gleich mit dem nächsten kräftigen Schwung ins Großsegel. Dort zerfloss die schwarze, seltsam körperlose Masse und breitete sich wie ein rasend schnell wachsender Schimmelpilz über die gesamte Segelfläche aus. Da ging mit einem Mal ein solcher Ruck durch das Boot, dass Marken beinahe sein Gleichgewicht verlor; die Mannschaft johlte auf. Denn es war, als ob eine Sturmbö ins Segel gefahren wäre. Die dunkle Masse wogte darin und drückte hinein. Der Kapitän schwang wieder den Anker und warf ihn in die Kreatur, riss einen weiteren Fetzen heraus. Sie hatten bereits tüchtig an Fahrt zugelegt, und als nun noch mehr von dem Windwesen im Tuch landete, schien das Boot über die Wellen zu fliegen. Das Segel zog an den Leinen   – und die Verfolger fielen zurück.
    Die Kreatur jedoch litt offenbar Schmerzen oder wurde von Zorn geschüttelt; deshalb kam ein dritter Mann den beiden an der Stange zu Hilfe und hielt mit fest. Das Wesen verteilte sich als ein dunkler, wallender Nebel flach über das Deck, um so dem nächsten Wurf des Kapitäns auszuweichen. Der drehte wieder den Wurfanker, wartete aber darauf, dass seine Männerdie Kreatur aufrichteten. Einer stieß mit dem Bootshaken zu; er hätte es nicht tun sollen. Denn auch dieser eiserne Haken löste einen Fetzen des Wesens ab und auch diese Masse zerfloss. Sie hing erst wie zäher Schleim an der Spitze des Bootshakens und lief dann so schnell, dass es das Auge kaum fassen konnte, von dort zur Hand des Seemanns. Er ließ den Haken zu spät los, schrie angstvoll auf   – und die schwarze Masse huschte ihm bis in den Mund und erstickte seinen Schrei. Aber nicht nur der Seemann, alle hielten vor Schreck den Atem an. Der Kapitän ließ den Wurfanker aufs Deck fallen. Mit einem Geräusch, als würde ein großer Kübel Schmutzwasser auf die Gasse geleert, ergoss sich mit einem Mal der Inhalt von Magen, Blase und Darm des Seemanns auf die Planken. Die Männer in seiner Nähe, die das sich verknäulende Dunkelwesen nach wie vor in Schach halten mussten, verzogen angewidert die Gesichter und drehten sich weg. Ihrem gepeinigten Kameraden entströmte ein eigenartiges Pfeifen, seine Augen traten hervor. Dann kam das Blut. Er würgte es im Schwall heraus, krümmte sich, fiel auf die Bretter, krampfte weiter und blutete nun auch aus Augen, Nase, Ohren, sogar aus den Poren seiner Haut. Zwei Herzschläge später war er tot. Marken sah hoch zum Segel, dort wallte immer noch das Schwarz und trieb das Schiff so an. Wie auf dem Tuch musste es sich im Innern des Seemanns ausgebreitet haben. Und dann hatte es sich gegen die Wände jeder Körperhöhlung und jedes Gefäßes gedrückt. Marken schluckte. Das Wesen,

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