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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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der kleine, aus Versehen abgerissene Fetzen hatte den Mann von innen zerquetscht.
    Die goldenen Augen von Panik geweitet, ließ der andere Seemann seinen Bootshaken aufs Deck fallen. Der Kapitän brüllte, die drei Männer, die nach wie vor die Stange festhielten, dabei wie beim Tauziehen in die Knie gingen, um der Kreatur standzuhalten, schrien den Feigling ebenfalls an. Er aber ging, denBlick starr auf das Dunkelwesen gerichtet, unbeirrt rückwärts. Dann drehte er sich herum und rannte, an Marken vorbei, nach vorn zum Bug des Schiffes   – nur weg von der seltsamen Kreatur. Die sah nun ihre Gelegenheit zur Flucht gekommen: Sie machte sich noch flacher, war nur noch ein Fingerbreit Schwärze über den Planken und reichte nun nah an die Füße der Männer an der Stange heran. Plötzlich und mit der unberechenbaren Kraft des Windes schoss das Wesen in einer dicken, schwarzen Rauchsäule nach oben. Hell blitzte es auf in seinem Kern und es hob die ersten beiden Seeleute an der Stange von den Füßen. Sie ließen los, fielen übereinander aufs Deck und allein konnte der letzte das Wesen nicht mehr halten. Jetzt hatte es sich gänzlich losgerissen, die lange Stange hing noch an ihm und schlug unkontrolliert umher. Weder die Schreie der Mannschaft noch die gebrüllten Befehle des Kapitäns und seiner Offiziere konnten das Dunkelwesen daran hindern, wie der Schatten einer Sturmfront über das Deck zu rasen und über den Toten und die Reling hinweg zu entschwinden.
    Drei Atemzüge lang geschah nichts.
    Bange Blicke suchten die Wasseroberfläche ab. Dann fiel mit einem peitschenden Knallen die lange Holzstange aufs Deck, die Lederschlinge daran war zerrissen. Alle Gesichter drehten sich nach oben. Über dem Schiff, ungefähr auf doppelter Masthöhe, hing das Dunkelwesen wie ein monströses schlechtes Gewissen. Der Kapitän fasste sich als Erster und gab mit grimmiger Miene seine lauten, rauen Befehle. Die Männer in der Takelage kamen in Bewegung, Marken hatte sie noch nie so schnell klettern sehen. Der Sinn dessen, was sie da taten, entzog sich ihm völlig. Männer erklommen über Strickleitern irgendwelche Positionen im Gewirr aus Leinen, Tauen, Rollen, Tuch und zogen an etwas oder auch nicht, wickelten etwas auf oder ließenLeinen los, es wurden Segel gesetzt oder geborgen. Es nötigte Marken einigen Respekt ab, die Seeleute dort oben so hastig und doch so konzentriert arbeiten zu sehen   – und dabei so nah am immer noch mit Düsternis gefüllten Segel, unter dem hoch oben dräuenden Dunkelwesen. Aber als das nun herabfuhr, begriff er, warum sie die Gefahr auf sich nahmen. Mit der Wucht einer abgehenden Lawine stürzte sich die Kreatur ins Großsegel. Im selben Augenblick, als es auftraf, kappten die Männer mit ihren Haumessern die Leinen. Das große Segel flog weg, schlug erst gegen und dann um den vorderen Mast, das Dunkelwesen umfloss das Hindernis zu beiden Seiten wie Wasser ein Schilfgras. Das gesamte Schiff ächzte und neigte sich zum Bug, Marken verlor den Halt. Er hörte nur das ungeheure Brausen über sich und dann den Lärm, den das schwere Segeltuch verursachte, als es den Mast hinabrutschte, sich in Tauen verfing. Marken rappelte sich auf; Smirn stand schwankend, aber teilnahmslos. Als er Richtung Heck blickte, sah er die Verfolger abdrehen. Warum das? Warum gaben die Nord-Kwother auf? Das Schiff war entschieden langsamer geworden, nun, wo sie nicht nur den Vortrieb, sondern gleich das ganze Segel verloren hatten. Marken drehte sich um, schaute nach vorn und sah den Grund: Vor ihnen stand eine hohe schwarze Wand.
    Dort, wo sie das Wasser berührte, schäumten die Wellen weiß. Blitze zuckten hell durchs Dunkel. Von allen Zwängen befreit und wieder vereint mit dem, was der Anker ihm herausgerissen hatte, schien das Wesen nun nach allen Richtungen zu wachsen. Es wurde noch höher und breiter, hatte das Vielfache der Größe des Schiffs erreicht. Der Wellengang verstärkte sich, Marken musste sich an den Kisten festhalten. Nun nahm auch der Wind spürbar zu. Er hatte sich bisher keine Gedanken über den Wind gemacht? Er war bisher mit den wiegenden Bewegungen des Schiffs gut klargekommen? Marken verstand, warum erdas Wetter hatte missachten können   – es war gut gewesen. Nun aber zog ein Sturm auf. Oder besser: Nun wurden sie in einen Sturm hineingezogen, der mehr war als schweres Wetter. Dieser Sturm war zornig.
4
    Erst kam es Marken noch so vor, als säße er im Sattel eines Riesenpferds, das mit

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