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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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dieser lebendige Gewitterkern, gezogen sein? In den endlosen Raum, der immer gerade hinter dem Gesichtskreis begann, dort, wo man nie hinsehen konnte.
    An Bord fand Marken alles, was er brauchte: scharfe, in Essig eingelegte Schoten in dickwandigen Tontöpfen und ein salziges, hartes Fleisch. Auch zwei Wasserfässer hatten das Unwetter überstanden. Von den toten Seemännern in der Takelage nahm Marken die Haumesser und das, was er an Kleidung brauchen konnte   – Ärmel und Hosenbeine waren viel zu kurz, aber besser als nichts   –, die Körper warf er über Bord. Ansonsten blieb nicht viel zu tun. Das Schiff wäre wahrscheinlich auch für jemanden, der sich auskannte, nur noch schwer zu navigieren gewesen. Marken rührte das Steuer nicht einmal an. Er richtete sich mit Smirn an Deck ein, so gut es ging, und ließ sich von unbekannten Strömungen und Winden treiben.
    Als sie gemeinsam mit dem Treck Richtung Lagerstadt und Pram aufgebrochen waren, war er zutiefst beunruhigt gewesen von der Botschaft der Undae, von diesem Etwas geht vor und dem düsteren Menschlichkeit versiegt und Bitternis steigt auf in den Seelen, dunkel und schwer. Niemals aber hätte er gedacht, dass es so rasch und so gründlich in die Vernichtung ging. Als Welse hatte Marken wahrlich kein einfaches Leben gehabt, doch wie jeder Mensch hatte er sich dort eingerichtet, wo er war. Dann war er vom Zeitgeschehen herausgerissen worden. Und nun trieb er beinahe von einem Tag auf den anderen als Begleiter einer in sich verkapselten Hohen Frau auf einem führerlosen kwothischen Segelschiff im weiten Westlichen Meer. Wie die Geschichte des Kontinents zu Ende ging, würde er nicht mehr erfahren, denn er kam nicht mehr darin vor, er entfernte sich weiter und weiter. Markens Hand tastete nach dem Lederbeutel auf seiner Brust, aber er war nicht mehr da. Das Wasser aus Torviks Quelle war verloren, genau wie die Kristallphiole um Smirns Hals. Ja, sie beide hatten bis hierher überlebt   – doch es war schon so vieles zugrunde gegangen: Kameraden und Freunde. Die Hüterin Endhemone und mit ihr die Quelle der Gerechtigkeit. Eine kostbare Phiole und ein Schwert. Obwohl Smirn noch bei ihm war, umfing Marken hier auf dem Meer eine Einsamkeit, die noch schmerzhafter war als jene der ersten Morgen nach dem Tod von Asta, seiner Frau. Nie hatte er der Überlebende sein wollen. Und immer wieder war er es. Marken kletterte über verknäulte Taue und steife Segeltuchfetzen, über das kleine, fest verzurrte Ruderboot, das wie ein schlafendes Kind nichts von der Katastrophe mitbekommen hatte, und stolperte über Deck bis ganz nach vorn zum Bug. Hier wurde er sanft auf und ab geschaukelt, schloss die Augen und atmete die Salzluft, bis sich die Klammer um seine Brust etwas löste. Er hörte ein vielstimmiges Kreischen über sich und öffnete dieAugen. Merren. Ein großer Schwarm der Zugvögel vollführte einen wiegenden, schlenkernden Tanz am Himmel und flog dann lärmend über Marken hinweg. Voraus, am gekrümmten Horizont, war Land zu sehen.
7
    Die Wellen setzten das Schiff beinahe behutsam auf dem Riff ab. Marken stand an der Reling und schaute in die Brandung, das Flachwasser schäumte weiß. Vier Versuche machte das Meer, dann hatte es das Schiff in den schwarzen, zerklüfteten Felsen festgeklemmt. So wie es aussah, befanden sie sich zwischen zwei Inseln, deren Steilküsten rechts und links dunkel aufragten. Die Passage hindurch wäre sicher nur einem besonders talentierten Steuermann gelungen oder einem sehr waghalsigen, denn die Felsen, auf denen Markens Schiff festsaß, waren nicht die einzigen. Ob diese Inseln bewohnt waren? Falls ja, war dieser Ort sicher nicht der, an dem man üblicherweise anlandete. Markens Augen suchten die Klippen ab; er überlegte. Dann sah er wieder hinab in die Brandung: lange, langsame Wellen, die um die Felsen strudelten. Er musste eine Entscheidung treffen.
    So klein das Beiboot auch war, Marken konnte es nicht allein über die Reling und hinunter in die Brandung heben; er musste sich irgendwie behelfen. Material war genug vorhanden, dennoch brauchte er einige Zeit, bis er mit Rollen und Seilen einen Flaschenzug gebaut hatte   – es war lange her, dass er das Prinzip angewandt hatte. Während der Ausbildung waren sie oft in Zweierseilschaften geklettert und hatten die Selbstrettung üben müssen; zu der Zeit hatte sich Marken allein durch entsprechende Schlingen und Knoten sogar selbst am Seil hochziehen können. Ein Lächeln stahl

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