Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
noch eine Weile. Smirn rührte sich nicht, nur die Linien auf ihrer Haut pulsten, langsam, wiedie tiefen Atemzüge eines Schlafenden. Es war wohl angeraten, sich hier auf die Nacht einzurichten.
    Als Marken mit Brennholz ins Totenhaus zurückkehrte, lag Smirn immer noch so über den Stein gebeugt, wie er sie verlassen hatte. Lange war er nicht weg gewesen, Holz gab es genug und Marken hatte sich beeilt. Er wollte Smirn nicht länger allein lassen und jede mögliche Begegnung mit einem Ghajel vermeiden. So unangenehm es war, er musste einsehen, dass er eine echte Furcht vor den kleinen Rehen entwickelt hatte. Aber das machte nichts, denn wer sollte je von dieser Schwäche erfahren?
    »Ich nehme an, es stört die Toten nicht, wenn ich hier zu ihren Füßen ein kleines Feuer entzünde? Mir jedenfalls täten ein wenig Licht und Wärme gut.«
    Er bekam keine Antwort, hatte aber auch nicht damit gerechnet. Erst hatte der Dämonenkönig die Unda völlig verändert und dann noch einmal das Meer. Das Schweigsame hatte immer zu Smirn gehört, solange Marken sie kannte. Doch nun war sie stumm geworden. Und dass sie ruhig auf dem Stein lag, vielleicht sogar schlief, war ebenfalls neu.
    »Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber falls du etwas essen möchtest, es ist genug da. Noch. Wenn wir hierbleiben   – und ich wüsste nicht, wohin wir sonst sollten und wie   –, werde ich allerdings Wasser suchen müssen. Und jagen. Ich bin ein sehr schlechter Jäger. Ich bin überhaupt kein Jäger, um ehrlich zu sein.«
    Marken schichtete die Holzstücke auf und machte sich daran, sie zu entzünden. Er ließ sich auf dem Steinboden nieder, streckte seine Beine aus und legte seinen Kopf auf die unterste Stufe des Podests. Auf einem Stück salzigem Fleisch kauend, schaute er zu Smirn auf.
    »Wo sind wir hier? In einer Nadhina-Mmet, so viel ist mir klar. Aber warum ist hier alles so … verlassen? Man hat den Eindruck, hier war schon seit mehr als hundert Soldern niemand mehr. Ich habe jedenfalls nicht das Gefühl, dass ich mich vorsehen muss oder dass wir in Gefahr wären. Wir sind die einzigen Lebenden hier, oder?«
    Marken nahm einen Schluck Wasser. Es schmeckte faulig.
    »Weißt du, Smirn, ich finde es sogar passend, in einer Totenstadt gestrandet zu sein. Immer und immer wieder wollte ich sterben, es ist mir nicht gelungen. Nun bin ich hier. Ich lebe zwar noch, aber es ist nicht mehr wichtig. Ich bin gescheitert. Wir konnten keine einzige Quelle beleben, die der Gerechtigkeit nicht und auch nicht die der Liebe … Eigentlich ist mein ganzes Leben ein fortgesetztes Scheitern   – nicht einmal der Tod gelingt mir so, wie ich es mir vorgestellt habe. Seit Asta gestorben ist, wollte ich folgen. Aber ich bin Welse, ich bin Offizier, ich kann mich nicht einfach umbringen. Alle am Berg kämpfen um ihr Leben, jeder fragt sich, warum er das alles erdulden muss, und jeder denkt ab und an daran, sich zu erlösen. Aber niemand tut es, denn was würde eine solche Tat den anderen erzählen, die weiterkämpfen wollen oder müssen? Nein. Wir gehen stattdessen zu euch, zu den Hohen Frauen. In den ersten Soldern nach Astas Tod bin ich oft in der Grotte gewesen. Ich glaube nicht, dass du das bemerkt hast; ich hatte nie den Eindruck, eine von euch bemerkt einen Besucher. Es hat geholfen, euch bei diesen langsamen Wanderungen durch das stille, dunkle Wasser zuzusehen. Ich war sehr einsam damals, aber in der Grotte habe ich mich in der Gesellschaft der Welt gefühlt. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll … ich war ein Teil eines großen Ganzen, unwichtig zwar, aber ich war aufgehoben. Letztendlich waren es die Undae, die mich davon abgehalten haben, mir den Fuß zu vertreten und in eine tiefe Felsspalte zustürzen, ganz aus Versehen. Und heute ist es wieder eine Unda, heute bist du es, Smirn, die mich abhält.«
    Er setzte sich auf, rieb sich seine geschundenen Füße. Jetzt, wo das Feuer sie wärmte, begannen sie zu schmerzen.
    »Wenn Schwester Essig hier wäre, sie hätte keine Gnade mit mir, sie würde meine Füße schrubben, bis all der Dreck und das Blut herunter wären … Ach, Smirn, ich komme mir vor wie ein alter Mann. Ich rede mit mir selbst und sehne mich nach einer jungen Frau, die mich pflegt.«
    Marken lachte kurz auf. Dann verfiel er in Schweigen und seine Miene wurde finster. Er starrte in die Flammen des kleinen Lagerfeuers und bemerkte nicht, dass er schließlich im Sitzen einschlief.
    Es war ein kühler Hauch, der ihn

Weitere Kostenlose Bücher