Zwölf Wasser
unter seinen hellen Wimpern hindurch zu blinzeln, ohne dass es auffiel. Es war schummrig hier, aber er sah die beiden Matrosen, wie Trunkenbolde gegeneinandergelehnt, an einer Wand sitzen. Ihre Gesichter waren blutverschmiert und Saiphs klopfendes Herz hoffte, dass sie nur ohnmächtig waren. Kinnig? Den konnte er nicht sehen, denn er wagte nicht, den Kopf zu bewegen. Der Riese, barfüßig, in zu kurzen Hosen und einem zerlumpten Hemd, ein kwothisches Haumesser im Gürtel, blickte auf die Matrosen hinab. Drehte sich um, sah zu Saiph. Und bemerkte sofort, dass er wach war. Dieser Mann hatte Instinkte wie ein Tier. Er kam nun mit schnellen Schritten auf den am Boden Liegenden zu, Saiph wollte aufspringen, wegrennen, doch er war gefesselt.
Der grobschlächtige Mann schlug nicht wie erwartet zu, sondern sprach ihn an, mit tiefer, voller Stimme. Was war das denn für eine Sprache? Saiphs Hirn kam nur langsam in Gang.
Der Riese sagte wieder etwas. Saiph meinte, eine Frage zu hören. Das klang entfernt wie Pramsch, wie ein altertümliches, hartes Pramsch. Die Sprache des Handels und des Geldes beherrschte Saiph nur in Grundzügen; das war etwas für Binnenschiffer und Leute, die auf dem Rücken übel riechender Huftiere gemächlich über Land zogen.
Welsisch! Das war ein Welse.
Saiph riss die Augen auf, der große Mann wich einen Schritt zurück. Nun starrten sie sich beide an – der eine völlig fassungslos darüber, auf der verbotenen Toteninsel der Kwother einen sehr lebendigen Vertreter eines ebenso legendären wie eigentlich ausgerotteten Volks anzutreffen. Und der andere, weil er noch niemals in derart durchdringende gelbe Augen geblickt hatte.
Saiph kramte in seinem Gedächtnis, aber es fielen ihm nur ein paar Zahlwörter ein, die Jahreszeiten und die Namen einiger Manoren, von denen er sicher wusste, dass sie aus dem Welsischen stammten. Nein, das hatte keinen Sinn. Außerdem war es viel wichtiger herauszufinden, was dieser Wilde hier tat. Ob er den Euler hatte. Ob er mit den Kwothern hier gestrandet war – oder ob er sie am Ende alle erschlagen hatte. Saiph bemerkte, wie er den Welsen anstarrte, und senkte den Blick. Wenn er hier wieder heil herauskommen wollte, musste er ganz behutsam vorgehen.
Er richtete sich langsam auf, stöhnte dabei vorsichtshalber mitleiderregend. Schmerzen hatte er keine, nur ein heftiges Kratzen im Hals. Jetzt war er ganz sicher: Sie befanden sich in einem der Totenhäuser. Schon immer hatte er diese nur dem Tod gewidmeten Gebäude unheimlich gefunden – unter Seeleuten war es eine furchtbare Vorstellung, in einem steinernen Sarg langsam zu verfaulen, anstatt in die kühlen Tiefen des Meeres zu sinken und dort wieder in den Kreislauf des Lebens zurückzukehren. Er räusperte sich.
»Hättet Ihr vielleicht einen Schluck Wasser für mich?«, fragte Saiph auf Kwothisch – ein Versuch.
Der Welse schüttelte den Kopf und wies dabei auf sein Ohr, trotzdem hielt er Saiph einen Wasserbeutel an die Lippen. Also gut, der Mann verstand ihn nicht, aber dumm war er nicht und dazu wohl einigermaßen mitfühlend. Saiph schöpfte Hoffnung, trank, blickte sich um.
Und sah den toten Kinnig. Er verschluckte sich, hustete. Kinnigs Körper war mit einem Tuch abgedeckt, die mit Silber beschlagenen Stiefel, sein ganzer Stolz, ragten hervor.
»Du … du hast ihn erschlagen! Warum? Was tust du überhaupt hier ?« Saiphs Kehle war rau, er brüllte dennoch – aus Angst und vor Entsetzen. » Du hast hier nichts verloren! Ich wollte nur einen Euler! «
Falls er das hier überlebte, würde Rigl ihn umbringen. Er und Kinnig waren Freunde gewesen. Saiph fluchte. Die Matrosen rührten sich, sein Gebrüll hatte sie wohl aufgeweckt. Immerhin lebten sie noch.
»Wieso hast du mich gefesselt, hm? Glaubst du, ich will mit dir kämpfen? Glaubst du, ich will mich umbringen? Ich will nur diesen verdammten Euler, alles andere ist mir egal!«
Saiph zerrte an seinen Fesseln, warf sich hin und her. In diesem Moment war ihm wirklich fast alles egal. Kinnig war tot. Alles lief schief. Es war Krieg. Der Kontinent würde sich verändern und Saiphs Welt würde sich wandeln.
Er wollte das nicht. Er hatte einen Plan für sein Leben gemacht, und den wollte er umsetzen. Nein: Er wollte ihn durchsetzen . Er hatte bisher immer erreicht, was sein Ziel gewesen war, und bekommen, was er gewollt hatte. Und nun hatte ein hässlicher, stinkender Hüne eines vergessenen Volkes ihn einfach festgesetzt, ihm den Wind aus
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