Zwölf Wasser
möglich.
Die Swaguren bitten nicht um Hilfe oder um Asyl – sie nehmen sich einfach, was sie brauchen können. Sie sind über Gaspen gekommen wie eine Plage.
Und es kommen jeden Tag mehr, die Lage verschlechtert sich zusehends. Nach Süden, nach Agen ausweichen ist nicht möglich – ich komme sozusagen gerade von dort und es wird dort unten inzwischen kaum besser geworden sein.
Was geschieht nur mit dieser Welt? Ich habe kaum die Kraft, darüber nachzudenken; ich versuche lediglich, durch den Tag zu kommen.
So ist es nun also. Ich sitze in meiner kleinen Kammer, eingepfercht zwischen Büchern und den Gerätschaften, die ich vor den schmutzigen Fingern dieser unverschämten Bälger habe retten können, und friere. Nicht nur, weil inzwischen der Firsten Einzug gehalten hat, sondern auch, weil es so kalt zwischen den Menschen geworden ist. (Meine treue Wirtschafterin und ehemalige Hüterin dieses Hauses hat mich verlassen. Sie war nicht mehr da, als ich zurückkehrte. Sie ist einfach verschwunden – nach über vierzig Soldern in meinen Diensten! Und hat mein Heim diesem Pack ausgeliefert …)
Was mich aber beinahe noch mehr betrübt: Ich war bald ein Solder fort – und in der Zwischenzeit ist kein einziger Brief von Euch hier eingetroffen. Ich habe gründlich nachgeforscht, das könnt Ihr mir glauben: Andere Post ist sehr wohl durchgekom men. Aber nichts, keine Zeile von Herrn Wigo von Pram. Ich vermute daher, dass Ihr das Interesse an dieser Sache verloren habt. Und ebenso das Interesse an unserer Freundschaft. Das nehme ich zur Kenntnis und werde Euch in Zukunft nicht mehr mit meinen Briefen belästigen. Dieses Bündel hier gebe ich noch auf, denn ich halte mich an meine Versprechen. Tut damit, was Ihr wollt, nehmt sie meinethalben als das Dokument eines Zeitzeugen, der mit eigenen Augen gesehen hat, wie eine Zivilisation zerfällt.
Gehabt Euch wohl,
Helgend von Gaspen
NEUN
AUS DEM FERNEN SÜDEN ZORN
1
Babu war einfach weitergegangen. Es gab nichts mehr zu sagen, nichts zu fragen. Er konnte um nichts mehr bitten. Was sollte noch kommen nach der Bitte um den eigenen Tod? Also war Babu von der Quelle aus dem Bachlauf hinab gefolgt, war an der Mühle und dem Teich vorbeigelaufen. Und einfach immer weitergegangen. Er war nicht in seine Kammer gestiegen, sondern hatte den Falknerhandschuh und die Weste dort zurückgelassen, sogar den Dolch. Was wollte er mit all dem noch anfangen? Babu war kein Falkner, war kein Szasran mehr und war es nie gewesen. Hatte je eine Zeit durch ihn gesprochen, die Alte Zeit oder eine andere, irgendeine? Nein. Alles war nur Schmerz und Unglück – so war es schon in Babus Kindertagen gewesen und so war es heute noch immer. Vielleicht war das seine Bestimmung? Vielleicht sollte er leiden, vielleicht gab es nicht einmal einen Grund dafür? Denn was für einen Sinn konnte eine solch jämmerliche Existenz schon haben?
Babu ging in die Nacht hinein, und wie damals, als er auf seinem Pony in den Regen geritten war, war seine Stimmungso finster wie die Umgebung. Es war, als ob er immer nur im Kreis lief; egal, wie weit er ging, letztlich tappte er doch immer wieder in seine eigene Dunkelheit. Die Dinge wiederholten sich, war das vielleicht ein Zeichen? Babu hatte geglaubt, das Lange Tal wäre sein Platz, seine Heimat, und Hirte zu sein, das wäre sein Leben. Er hatte sich getäuscht. Er hatte das Lange Tal verlassen. Dann hatte er gehofft, die Freiheit bei den Nogaiyern zu finden und in Nuru die erste Liebe. Aber auch dies war ein Irrtum gewesen. Ob Nuru noch wartete – und ihr Bruder ebenfalls, mit einem Pfeil auf der Sehne seines Bogens, um ihr Unglück zu rächen? Es war egal, Babu würde nicht zurückkehren. Ein ganzer Kontinent lag nun zwischen ihnen, so weit flog kein Pfeil, so lang hielt keine Verliebtheit. Und schließlich, es war erst einen Tag her, hatte er gemeint, zur rechten Zeit am rechten Ort und in Gesellschaft von guten Menschen, vielleicht sogar in der Gegenwart von Wundern zu sein. Aber das war die größte Täuschung von allen gewesen. Denn nun ging er allein durch die Nacht, nun verließ er alles – abermals. Wenn sich die Dinge wiederholten, war das nicht ein Zeichen?
Also erkennst du endlich die Zwangsläufigkeit.
Babu blieb kurz stehen, erschrocken. Ging dann aber gleich mit klopfendem Herzen weiter. Sie hatte bisher niemals im Wachen zu ihm gesprochen. Doch er hatte ihre Stimme gehört, ganz deutlich. Es war, als ob sie direkt hinter
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