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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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aufwärts gebogen, aber nur einen Flügelschlag später hatte er sich wieder gefangen. Er stieg schnell höher und war bald aus Babus Sicht entschwunden.
    Und dann war Juhut fort. Ganz fort. Stille legte sich über die in der kühlen Umarmung des Firstens schlafende Landschaft. Und eine wachsende Leere erfüllte Babus Kopf, ein sich stetigvergrößernder Krater, in den er zu stürzen drohte. Es war der Schmerz, der verging. Dort, wo der Wille der Szasla in Babu verankert gewesen war, war nun nichts mehr.
    Babu atmete schluchzend ein; das Geräusch seines eigenen Kummers überraschte ihn. Er hatte doch gewusst, wie es sein würde   – er hatte das schon einmal durchgemacht. Damals, vor einer gefühlten Ewigkeit, war der Falke durch den großen Steinbogen und gegen den ungeheuren Atem des Bersts zur Stadt in den Wolken geflogen. Juhut hatte Babu, das nutzlose Werkzeug, das stumme Sprachrohr, zurückgelassen, und diese Einsamkeit war quälender gewesen, als ein noch so heftiger Kopfschmerz es jemals sein konnte. Dieses Mal hatte sich das Werkzeug gegen den Meister gewandt, hatte sich weiterer Benutzung verweigert. Dieses Mal hatte Babu Juhut verlassen. Die Qual blieb dieselbe.
    Wieder holte Babu Luft und versuchte so, die Tränen zu unterdrücken. Und da erst wurde ihm klar, dass nicht nur er die Gestalt des Falken durch den Zweispat hatte sehen können. Sondern dass auch Juhut ihn gesehen hatte. Babus wahre Gestalt. Es musste ein wahrhaft scheußlicher Anblick gewesen sein. Was daraus folgte, war vollends niederschmetternd. Denn wieder einmal war Babu einem Irrtum aufgesessen: Es war mitnichten seine eigene Entscheidung gewesen; nicht er hatte sich gegen Juhut gewandt. Bis zum Schluss, bis gerade eben, war er dem Willen der Szasla unterworfen gewesen. Juhut hatte ihn verlassen, abermals, hatte ihn endgültig aufgegeben, nachdem er im Zweispat gesehen hatte, wer Babu wirklich war. Wenn sich die Dinge wiederholten, waren sie dann einfacher zu begreifen, leichter zu ertragen?
    Nun hast du nur noch mich.
    Babu sackte auf die Knie und weinte.
3
    Der weit gereiste und vor nicht allzu langer Zeit noch hochgeachtete Gelehrte Helgend saß in seiner Kammer, fror und bemitleidete sich selbst. Er verließ den kleinen Raum nur noch, um Essen zu besorgen   – und um auszutreten. Dazu musste er die schmale Stiege hinunterklettern, mit steinerner Miene die verwahrloste Stube durchqueren, die ehemals sein Laboratorium beherbergt hatte, und durch die Hintertür in den Hof gehen. Natürlich war auch der Abtritt inzwischen völlig verdreckt, aber die Hinterlassenschaften der Besatzer wegzuräumen kam absolut nicht infrage. Helgend musste sich eingestehen, dass es ihm sogar Vergnügen bereitete, seine Notdurft auf der des Packs zu verrichten. Er schämte sich gleichzeitig dafür, kam sich schlimmer vor als ein Hund, der auch immer dorthin pinkeln muss, wo vorher schon ein anderer seine Duftmarke gesetzt hat. So erniedrigt von seinen menschlichen Bedürfnissen und seinen unmenschlichen Empfindungen, stieg er dann wieder hinauf und kroch unter die Decken auf dem schmalen Lager in der eisig kalten, vollgestopften Kammer. Er las nicht, er schrieb nicht. Er dämmerte dahin und wartete auf das Rütteln. Jedes Mal, wenn dann der Erdstoß kam, bebte er mit seinem Haus um die Wette und hoffte, es möge endlich über ihm zusammenstürzen. Diesen Gefallen tat es ihm jedoch nicht. Es hatte eine derart solide Substanz, dass es ein ums andere Beben überstand. Es zeigten sich zwar Risse in den Wänden, aber das war kein Grund zur Sorge. Nur der über dem Mauerwerk verstrichene Lehm hielt den Spannungen nicht stand; die Steine darunter saßen fest aufeinander. Helgend vermutete, das Haus würde nicht aufgeben, bevor nicht der Kontinent selbst auseinanderbrach.
    Die Besatzer   – drei Frauen, wahrscheinlich miteinander verwandt, und ihre Kinder   – flohen bei jeder kleinen Erschütterungins Freie. Sie hätten Helgend leidtun können, wie sie da auf der Gasse standen, zerlumpt und heimatlos, schreiende Blagen im Arm, weitere heulend am Rocksaum, und mit angstvoll aufgerissenen Augen die Fassaden hochschauten. Aber die Frauen begegneten ihm mit einer solchen Verachtung, dass jedes Mitleid erstickt wurde. Was hatte er ihnen denn getan? Sie hatten ihm doch das Haus weggenommen! Helgend ahnte, dass die Verachtung der Swagurinnen älter war, dass sie ganz allgemein alle Einwohner Gaspens betraf und sogar alle Seguren südlich von Nirwen. Diese

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