Zwölf Wasser
hatte sich so etwas wie eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Man half sich, man achtete aufeinander. Der Hafen, früher die fragwürdigste Gegend der Stadt, war nun der Ort, an dem es geradezu gesittet zuging.Helgend tappte, die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen, langsam über die glitschigen Planken eines Anlegestegs. Er wusste, dass man ihn von den festgemachten Booten aus beobachtete, aber er wusste auch, dass man ihn in Ruhe lassen würde, wenn er einfach weiterging. Am Ende des Stegs gab es einen Schuppen oder besser gesagt eine Art Unterstand, wo alte Netze und Seile vor sich hin rotteten – dies war Helgends Ziel. Denn das Dach bot immerhin etwas Schutz und er konnte auf den Eldron schauen, während er seine Beute inspizierte. Nachdem ihm anfangs ein Stück Pökelfleisch gleich wieder aus der Hand gerissen worden war, als er es noch im Gehen aus dem Tuch gewickelt hatte, packte er nun erst aus, wenn er im Hafen angelangt und in seinem Schuppen allein war. Fast allein, denn auch heute schauten ihm große grüne Augen aus dem Gewirr der Netze erwartungsvoll entgegen.
»Na, bist du auch schon wieder da«, sagte Helgend mit unterdrückter Freude. »Ich frage mich ernsthaft, wer dich derart verwöhnt hat, dass du hier jeden Tag auf mich wartest, statt dir ein paar Ratten zu fangen. Gibt doch genug.«
Die Katze strich ihm mit hocherhobenem Schwanz um die nassen Hosenbeine. Sie war sehr schlank, fast zierlich, und auch wenn sie etwas mitgenommen wirkte mit ihrem angebissenen Ohr, so sah man noch ihre edle Abstammung. Gesicht, Brustlatz und Vorderpfoten waren weiß, der Rest des Fells von einem bläulichen Grau. Diese Katze hatte in ihrem bisherigen Leben höchstens ein paar Mäuschen oder einen kleinen Vogel gefangen, und auch das nur zum Spaß. Mit einer Ratte konnte sie es nicht aufnehmen. Sie kam im Grunde genauso wenig mit der neuen Situation zurecht wie Helgend.
Er setzte sich auf ein zusammengehäuftes, zerfranstes Netz; sie sprang ihm sofort in den Schoß. Die Katze schnurrte so laut, dass sie vibrierte.
»Dann wollen wir mal sehen … Oh, das ist was für mich!«
Brot, nur wenig angeschimmelt, das konnte man wegschneiden.
»Oho! Und das erst recht! Heute ist ein Glückstag.«
Helgend schob sich eine kleine, fettig glänzende Teigkugel in den Mund und kaute bedächtig. Die Speise war zwar schon altbacken, aber dennoch eine köstliche Leckerei, gefüllt mit süßem Pfirsichmus – ein echtes Meussel, wie die Seguren es liebten. Es gab noch fünf Stück davon, der Bestohlene würde sich sehr ärgern. Helgend schluckte.
»Nun, ist denn nichts für dich dabei, Kätzchen?«
Er fand noch einen Beutel Mehl, einige Zwiebeln und sogar ein kleines, festes Leinensäckchen mit Salz, für das er viel würde eintauschen können. Aber der Katze konnte er nichts geben.
»Hm«, machte er und strich ihr über den Kopf. Sie genoss es mit geschlossenen Augen und immer noch schnurrend; er beneidete sie um ihre Geduld und die Fähigkeit, immer genau das willkommen zu heißen, was ihr gerade angeboten wurde. Natürlich nur, solange sie es wollte.
»Ich könnte gleich hier am Hafen versuchen, ein Tauschgeschäft zu machen. Oder wir probieren, ein paar Fische zu fangen.«
Helgend blickte flussabwärts zu den Anglern am Pier, reglose Schemen im steten Schneeregen. Zu dieser Zeit des Solders bissen die Fische immer schlecht und es sah nicht so aus, als ob dort drüben ein großer Fang gemacht würde.
»Hm«, machte er wieder, hörte aber nicht auf, die Katze zu streicheln. Helgend fürchtete, sie würde nicht mehr kommen, wenn er sie nicht mit ein wenig Futter bestach. Das geschmeidige, verwöhnte Tier war sein Verbündeter in diesem Elend. Er wandte den Kopf, blickte flussaufwärts.
Und erschrak so heftig, dass er froh war, bereits zu sitzen.
Helgends plötzliches Zusammenzucken verschreckte allerdings auch die Katze; mit einem Fauchen schoss sie davon und war verschwunden. Doch er bemerkte es kaum, sondern blieb wie gelähmt sitzen und blickte auf den Eldron. War das, was er sah, wirklich wahr? Konnte das sein oder war er, ohne es recht wahrzunehmen, in ein Delirium geglitten?
Helgend beobachtete, wie die schmale Gestalt am Bug eines flachen, langen Boots ein weißes Licht entzündete und es hochhielt; der große, schwarz gekleidete Mann an den Rudern steuerte den Steg an. Nein, das war keine Einbildung. Das war eine Unda, eine leibhaftige Unda! Helgend erkannte ihr narbenverziertes Gesicht nun
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