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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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deutlich im weißen Schein. Er wuchtete sich hoch, stand mit zitternden Knien. Was für ein Glückstag , dachte er nur, was für ein Glückstag .
6
    Er hatte es beinahe geschafft: Babu war allein, dem Auge des Falken entronnen   – er war ganz auf sich gestellt und bereit für den Tod. Und immer noch widerstand er dem Dämon. Was hatte die Quellhüterin gesagt? Alles ist leicht, wenn man wiedergeliebt wird. Das konnte schon sein. Babu aber war schwermütig, war es immer gewesen. Denn alle Liebe, die man ihm entgegengebracht hatte, war letztlich Lüge gewesen.
    Und das nimmst du einfach so hin?
    Ja, das tat er. Das war seine wahre Leistung, Babus Heldentat, von der nie jemand erfahren würde: Er wollte es hinnehmen. Er wollte aus freien Stücken und ohne dass ihn jemand führte, ohne dass jemand ihn rettete, ohne dass ihm jemand die Tat abnahm, einfach sterben. Er wollte erfrieren und verhungern in einer entlegenen Ecke des Kontinents. Er wollte als Menschsterben , und weil Felt ihm diese Gnade verwehrt hatte, musste er es selbst schaffen. Weil auch Juhut ihn vom Sterben abhielt, immer wieder, hatte er ihn verjagen müssen. Oder sich der Szasla in seiner ganzen Scheußlichkeit offenbaren, sodass diese ihn fallen ließ. So war es doch, nicht wahr? Babu war abgewiesen und fallen gelassen worden. Ach, es war im Grunde gleich, wer wen enttäuscht hatte, wenn das Ende kam. Und es kam, bald.
    Ich bin auch enttäuscht worden. Und betrogen   – wusstest du das?
    Babu hatte nicht mehr die Kraft, die Stimme des Dämons zu ignorieren. Er hörte sie klar und deutlich und ebenso deutlich spürte er Asings Nähe, ihren Atem. Aber er zwang sich, nicht zu sprechen. Er hatte die Befürchtung, dass dann die Dämme brächen: Wenn er ihr antworten würde, so, wie man jemandem antwortet, der vor einem steht, mit dem man sich unterhält   – dann würde es wahr werden. Dann würde sie wahr werden.
    Sie lachte leise, bitter.
    Ich habe ihn so sehr geliebt. Er hat mich nur benutzt. Ich weiß, wie du leidest. Niemand versteht dich so gut wie ich, Babu.
    Babu lehnte sich gegen einen Baumstamm. Die Rinde war glatt und kalt, die nackten Äste dürr. Mit steif gefrorenen Fingern strich er zitternd über die Erhebung auf seiner Stirn, über das entstellende Mal, das nicht mehr von dem Stirnband verborgen wurde. Seine Fingerspitzen waren vor Kälte so taub, dass er nichts fühlte.
    Wir beide, du und ich, wir teilen das gleiche Schicksal.
    Bald war es vorbei. Bald hätte er es geschafft, ganz allein.
    Ach, Babu. Du bist doch nicht allein. Ich bin hier, ich bin bei dir, lange schon. Hör auf zu jammern, hör auf, dich in deinem traurigen Schicksal zu wälzen. Werd endlich wach und sieh der Wahrheit ins Auge: Die Welt ist ungerecht. Die Menschen sind schlecht. Dein Onkel ist ein Mörder, dein bester Freund hat dich hintergangen. Deine Mutter hat dich nie geliebt.
    Babu schloss die Augen. Lehnte am Baum, versuchte einfach nur, zu stehen und zu schweigen.
    Ich verstehe sehr gut, dass du misstrauisch geworden bist. Ich verstehe es, weil ich ebenso empfinde wie du. Wir sind uns so ähnlich! Beide sind wir zutiefst enttäuscht worden, beide sind wir belogen worden. Warum, glaubst du, habe ich ausgerechnet deine Nähe gesucht?
    Babu hatte den Eindruck, sie sei neben ihn getreten und ginge nun langsam um ihn herum, ganz nah war ihr Körper dem seinen. Er hielt die Augen geschlossen, bemühte sich, den kalten Baumstamm an seiner Seite zu spüren. Aber viel mehr noch spürte er ihre Wärme. Heiße Hände strichen ihm sanft über die Brust, griffen in seinen Nacken und Arme schlangen sich um seinen Hals. Ihre Worte waren ein lauer Hauch in seinem eisigen Gesicht.
    Ich verlange nicht, dass du mir einfach so glaubst. Ich will dir beweisen, wie viel unsere Verbindung mir bedeutet. Ich lasse dich nicht allein. Ich will dir helfen. Mach die Augen auf.
    Niemals. Das durfte er nicht.
    Babu fühlte plötzlich einen kalten Luftzug. Als wäre sie schnell beiseitegetreten. Verschwunden.
    »Nein!«
    Nicht weggehen! Er sprach diese Worte nicht aus. Er hatte sich beherrscht, hatte nur Nein gesagt. Und dabei die Augen aufgerissen. Sie war nicht da.
    Sondern der Wolf.
    Er war zurück und saß hechelnd zwanzig Schritt entfernt. Er blickte Babu an, erhob sich, lief ein Stück voraus. Wandte sich um, schaute Babu wieder an mit seinen rot glühenden Augen. Sollte Babu ihm etwa folgen? Der Wolf kam wieder ein Stück zurückgelaufen, hielt sogleich an, als Babu sich vom

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