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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Versprechen. Ich kann so viel für dich tun, Babu, so viel … Ich kann dir jeden Wunsch erfüllen.
    Sie saß hinter ihm im Sattel. Er spürte ihren warmen Körper an seinem Rücken, ihre Arme um seine Brust, ihre Schenkel an seinen.
    »Ich habe keinen Wunsch außer einen«, sagte er leise vor sich hin. »Ich wünsche mir, dass du mich in Frieden lässt. Dass du verschwindest.«
    Es war ein letzter, nur noch halbherziger Versuch zu widerstehen. Sie nahm seine Worte ernst. Ein Schlag wie mit einerPeitsche traf Babu ins Gesicht. Erschrocken fasste er sich an die Wange, der Braune drehte nervös die Ohren.
    Niemand sagt so etwas zu mir. Niemand darf mich einfach wegschicken. Nie wieder.
    Babu schwieg. Er spürte die Macht des Dämons wachsen, während seine Schwäche zunahm. Es war ähnlich wie damals bei den Wölfen   – indem er das Rudel verfolgt hatte, indem er den Gedanken der Jagd nicht loslassen konnte, hatte er die Bestien am Leben gehalten. Wie schwierig es doch war, an etwas nicht zu denken! Babus Gedanken ruhten nicht, immer schleppten sie sich in seinem Geist weiter wie alte, schwerfällige Männer, müde und mürrisch. Nein, sie ruhten nicht   – aber sie kamen auch nicht voran. Babu fühlte, wie haltlos er war, wie sehr ihm ein Ziel fehlte oder eine echte innere Überzeugung. Alles, was er angefangen hatte, hatte sich irgendwann als falsch herausgestellt. Er hatte sich immer nur an etwas angehängt, an die Idee, ein Hirte zu sein, genauso wie an die Szasla   – oder an Felt und Reva, an Nuru. Nicht einmal ein rechter Merzer war er gewesen   – sondern immer schon der, den sie »Kieselauge« genannt hatten wegen seiner runden Augen, der zu groß geratene Sohn des Friedens.
    Du bist noch so jung, Babu, warum blickst du immer nur zurück, warum nicht ein Mal nach vorn?
    »Ich habe keine Zukunft. Ich darf keine haben. Ich hätte in Wiatraïn bleiben sollen.«
    Ich darf nicht! Ich hätte! Babu! Ich verliere wirklich langsam die Geduld mit dir. Du bist noch keine zwanzig Soldern alt, dein ganzes Leben liegt ausgebreitet vor dir   – du musst nur hinschauen.
    Babu blickte über die erstarrte, leere Landschaft und im Gegenlicht einer tief stehenden, blassen Sonne sah er den schwarzen Wolf, der ihn führte. Er lachte bitter auf. Ein wahrhaft prächtiges Leben lag da vor ihm. In der Ferne, genau über demHorizont, nahm er ein Glänzen wahr. Sie bewegten sich darauf zu.
    Der Eldron. Du musst hinüber, wenn du etwas Neues anfangen willst. Hier, auf dieser Seite, gibt es nichts mehr für dich.
    Babu zog die Zügel an, der Braune stand still.
    »Ich sagte doch: Keine Zukunft. Nichts Neues.«
    Ach, Babu. Ich habe meine Hand an deinem Herzen, ich muss nicht auf deine Worte hören. Unterschätze die Kraft deiner Jugend nicht, glaube mir: Du willst nicht sterben. Du willst leben. Endlich richtig leben. Endlich dein echtes, wahres Leben finden.
    »Und du kannst es mir zeigen? Das soll ich dir glauben? Dir, dem hinterlistigsten Wesen, das je diesen Kontinent heimgesucht hat?«
    Wieso sagst du so etwas, Babu? Warum musst du mich so verletzen? Gerade du solltest doch wissen, wie es ist, verkannt zu werden. Wie es ist, enttäuscht zu werden. Ungeliebt zu sein.
    Babu sagte nichts darauf; es war schädlich, mit dem Dämon zu sprechen. Aber in einer entfernten Ecke seines Herzens wuchs die Zustimmung. Es war ungerecht   – empörend ungerecht   –, dass Babu hier am Rande des Kontinents verrecken sollte, allein. Während zu Hause im Langen Tal der Thon, dreimal so alt wie Babu und sicher immer noch kraftvoll genug für weitere zwanzig Soldern, ganze Clans niedermetzelte, um seine Macht zu sichern. Eine Macht, die ihm nicht zustand.
    Er schluckte. Der Gedanke an den Vatermörder war ein Funke, der Babus Weltschmerz aufs Neue entzündete. Ja, ungerecht war diese Welt, ungerecht und lieblos.
    Du kannst weiterjammern, Babu. Oder du handelst endlich. Es gibt keine unsichtbare Kraft, die dir Gerechtigkeit widerfahren lässt. Nicht mehr. Du selbst musst dafür sorgen. Du willst den Thon vom Thron holen, du willst Gerechtigkeit für deinen Vater? Dann nimm sie dir!
    »Aber wie? Was soll ich denn ausrichten?«
    Du musst Macht erlangen, Babu. Du brauchst Macht, um die Dinge in deine Richtung zu wenden. Denn so geht diese Welt: Nur wer Macht hat, kann auch etwas bewirken. Wir beide haben das bereits am eigenen Leib erfahren; beide hat uns die Macht eines anderen zerstört und vertrieben.
    Sie wusste so gut, wie es um ihn stand.

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