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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Staunen sah er, obwohl alt, wie ein Kind aus. Felt steckte das Schwert weg.
    »Ihr versteht Welsisch«, bemerkte er.
    Helgend nickte und winkte ab, als ob es selbstverständlich sei, die Sprache eines fast ausgestorbenen Volks zu sprechen, das sich zudem nicht gerade durch seine Schriften ins Gedächtnis der Welt gebrannt hatte. Der Alte machte den Versuch, an Felt vorbei nach der Unda zu sehen. Felt spürte Revas Kühle in seinem Rücken.
    »Nun, Helgend, ich suche diesen jungen Mann und ich bin in Eile. Wer steht dieser Stadt vor und wo kann ich ihn finden?«
    »Niemand, ich meine: Das hat keinen Sinn, diese Stadt ist   … Es geht etwas vor, nicht wahr? Etwas Großes, Schlimmes.«
    Er kam einen zögerlichen Schritt auf Felt zu, sah zu ihm auf. Der nasse Schnee fiel in sein Gesicht, schmolz sogleich und lief als Wasser über die gefurchte Stirn. Felt sah, wie Helgend mit sich kämpfte: Er fürchtete sich vor dem Krieger und seinem Schwert, aber die Unda zog ihn magisch an. Er wollte sie sehen, sie sprechen   – und es war nicht Körperkraft, die ihm helfen konnte, den vor ihr stehenden Welsen zu überwinden.
    »Ich war in Agen, diesen Lendern erst«, sagte er schließlich und seine Stimme gewann an Festigkeit. »Ich kann Euch vielleicht Dinge berichten, die von Interesse für Euch sind. Ganz bestimmt sogar, ganz sicher wird Euch interessieren, was ich erlebt habe. Aber wollt Ihr mir nicht ins Trockene folgen, Ihr unddie Hohe Frau? Bitte kommt mit mir; das ist kein Zufall, dass wir uns hier begegnet sind, das kann keiner sein. Der Fluss hat uns zusammengeführt, der Eldron sorgt für seine Kinder, das habe ich immer schon gewusst.«
10
    Im wieder heftiger werdenden Schneeregen folgten sie dem Mann durch die überfüllte Stadt. Reva ging mit gesenktem Kopf, die Kapuze tief hinabgezogen, Felt dicht hinter ihr. Sie wollte nicht gesehen werden und so erschien sie denen, die ihre Gestalt mit Blicken streiften, nur wie ein verirrtes Kind, wie eine weitere Bettlerin oder ein gebrechliches altes Weib, dessen Verstand mit dem Zuhause zusammengestürzt war. Reva hätte eine Einwohnerin des von Erdbeben erschütterten Gaspen sein können; sie verschmolz mit der Menschenmenge. Felts Größe hingegen zog Aufmerksamkeit auf sich. Aber auch das nur flüchtig. Die Menschen waren zu sehr mit sich selbst und ihrem Elend beschäftigt, um sich Gedanken über einen anderen zu machen. Einzig die Männer aus Nirwen, die in der Hoffnung hierhergekommen waren, sich als Söldner verdingen zu können, fürchteten beim Anblick des Welsen eine überlegene Konkurrenz. Dabei waren sie ohnehin längst zu spät. Anfang des Lenderns waren die ersten Anwerber aus Agen nach Nirwen gekommen   – ungebeten, aber nicht unwillkommen, denn es war das dritte Solder, in dem der Firsten ohne einen Tropfen Regen vergangen war. Felder zu bestellen hatte keinen Sinn mehr und das Vieh, das zwar schon immer mager, aber ansonsten genügsam gewesen war, verendete Stück um Stück. Die Schnellentschlossenen waren bald in Agen, bewachten dort die Stadt und das Tor oder die Brücke über die Linrade.
    Felt musste nicht fragen, was das für Männer waren, die hier nun in kleinen Gruppen in Hauseingängen lungerten oder durch den Regen eilende Menschen anhielten, ihnen die Taschen abnahmen und sie durchwühlten. Er sah auf einen Blick: Diese Männer waren Verlierer, waren haltlos. Gerade das machte sie gefährlich. Sie hatten Waffen, aber sie hatten keine Aufgabe und niemanden, der sie anleitete. Je länger das so bliebe, je größer der Hunger und die Not würden, desto heftiger würde sich die Gewalt Bahn brechen. In Goradt hatten sie nur überlebt, weil sie strenge Regeln befolgt hatten und weil sie als Ausgestoßene zusammenhielten. Er sah die schmalen Schultern der vor ihm gehenden Unda. Und weil ihr da wart, immer schon, dachte er. Diese Stadt hier hatte niemanden, der über sie wachte. Sie war dabei unterzugehen.
    »Verzeiht die Unordnung«, sagte der alte Mann und drehte sich, schon auf der Türschwelle, zu Reva und Felt um. Seine Nasenspitze war rot von der Kälte. »Wir in Gaspen mussten in letzter Zeit etwas zusammenrücken.«
    Der Wohnraum des kleinen Stadthauses war karg und überfüllt zugleich: Zwei Kinder spielten unter einem verschmutzten großen Holztisch auf dem nackten Fußboden mit einer schweren eisernen Kugel; ein weiteres Kind saß daneben und heulte, warum, war nicht klar. Vielleicht durfte es nicht mitspielen. Ein etwas älterer Junge war

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