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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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Buschwerk und die helleren Einsprengsel von Häusern und Höfen zu erkennen   – es lebten also Menschen inder Nähe dieser Straße, aber ein Dorf oder gar eine Stadt sah Badak-An nicht. Er atmete die feuchtkalte Luft, fühlte sich erfrischt und ausgeruht wie lange nicht. Und er hatte eine Lust zu jagen wie noch nie zuvor. Er stellte einen Fuß aufs Holz, hakte die Sehne ein, spannte den Bogen. Die Waffe war eine wunderschöne Arbeit und besser als die Bögen der Merzer. Sie hatten dort oben einfach nicht so gutes Holz wie dieses hier. Auch die Sehne schien nicht aus Grasfasern und Darm gedreht, sondern aus einem besonderen Material gefertigt zu sein   – was ein großer Vorteil war, besonders in dieser feuchten Luft.
    Wie ein Schatten, wie eine Vorahnung, sprang ein Rehbock durch Badak-Ans Gedanken. Er erschrak, blickte sich um. Nichts, nur das schnarrende Rufen eines einzelnen Vogels, der aber unsichtbar blieb. Einen Rehbock hatte Badak-An in Wirklichkeit nie gesehen; Nuru hatte ihm ein Mal einen beschrieben. Aber er war nicht lange genug bei den Nogaiyern geblieben, um sich an der Jagd auf einen solchen Bock zu beteiligen. Einer Intuition folgend, schloss Badak-An die Augen. Da! Dahinten sah er das Tier, fahl, auf langen, schlanken Beinen, den Kopf mit dem kurzen Geweih erhoben und umsichtig witternd. Mit geschlossenen Augen und dennoch den Bock fest im Blick nahm Badak-An einen Pfeil vom Rücken, legte ihn ein, zielte. Er kannte diesen Bogen nicht, das Ziel war weit entfernt   – und er hielt die Lider geschlossen, sah stattdessen wie durch seine Stirn hindurch. Er konnte unmöglich treffen.
    Er schoss dennoch und sah den Pfeil fliegen, mehr noch: Er war der Pfeil, war sein Flug. Was er empfand, könnte das auch ein Pfeil empfinden, auf dem Weg ins Ziel? Würde er zerbrechen oder würde er sein Ziel zerschmettern?
    Er traf auf, er zerbrach nicht. Er stieß durch Fell, durch Haut, bohrte sich in Fleisch. Er hörte das Blut rauschen, das harte Pumpen eines verschreckten Herzens. Er drang noch tiefer ein,erreichte das große Gefäß, zerriss es und wurde überschwemmt vom Blutschwall. Welche Wonne! Das war Lust und Befriedigung zugleich. Das war die Jagd, wie Badak-An sie noch nicht erlebt hatte.
    Er öffnete die Augen.
    Immer noch früher Morgen, aber der Vogel war verstummt. Badak-An ging einfach los in die Richtung, in der er gestanden hatte.
    Er fand das getötete Tier, den Pfeil in der Schulter, im nassen Gestrüpp nah eines Waldstücks. Die Distanz, über die hinweg er es erlegt hatte, war unfassbar. Badak-An sah hinüber zu den Baumwipfeln. Es war Teleias Schuld, dass er nun auf Bäume achtete. Solche wie diese hier waren ihm bisher unbekannt gewesen, sie waren sehr hoch und schlank, fast spitz, und an den beweglichen Ästen hing sogar jetzt, im Firsten, ein dunkles Grün. Etwas rührte ihn an, aber Badak-An wusste nicht, ob es die Erinnerung an Teleias rosiges Gesicht war, die sanft sich wiegenden, winkenden Baumriesen oder der Tod dieses schönen Tiers.
    Er kniete sich hin, zog den Pfeil heraus. Legte dann seine Finger in die Wunde und spürte die schwindende Wärme des Lebens, das er beendet hatte.
14
    Mit der Hilfe der drei jungen Männer hatte Badak-An den Rehbock aufgebrochen und noch dort, am Waldrand, abgezogen und zerteilt. Der Wolf fraß die Gedärme und Knochen, leckte das erstarrende Blut vom kalten Boden. Bedrückt und furchtsam schweigend wickelten die drei das Fleisch in Tücher undbanden es an die Sättel; Badak-An nahm nur Fell und Kopf des Bocks mit dem Gehörn. Der verletzte Olphrar war im Lager bei der Straße geblieben. Am Morgen hatte er zu fiebern begonnen und war verwirrt gewesen, hatte unentwegt nach seinem Bruder verlangt. Als sie endlich mit der Beute zurückkehrten, ging es gen Mittag und eben jener Bruder war bereits eingetroffen. Mitgebracht hatte er zehn Männer, die bis an die Zähne mit Kurzschwertern, Dolchen und Bögen bewaffnet waren und noch finsterer aussahen als die, die Badak-An begleiteten. Sie saßen noch in den Sätteln, während der Bruder versuchte, den verwirrten Olphrar wieder auf sein Lager beim erloschenen Feuer zu zwingen. Als er die Reiter kommen sah, trat er ihnen aufgebracht entgegen.
    »Was ist hier los? Was tut ihr denn? Was ist mit meinem Bruder geschehen?«
    Er sah den Wolf, griff zum Schwert. Seine Männer zu Pferd spannten ihre Bögen, die Tiere wurden unruhig. Wieder streifte Badak-An eine seltsame Wehmut. Etwas an dieser Situation erinnerte

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