Zwölf Wasser
der Grund, warum er die Welsen um sich haben wollte: Ormn ergötzte sich an Markens Qual. Er fütterte den Hass des Welsen und erntete mit einer durchtriebenen, gemeinen Freude dessen wilde Blicke. Ormn lächelte, als er Marken ansprach. Der aber verzog keine Miene und krampfte nur die Finger um den Schwertknauf, während Smirn übersetzte.
»Du wirst dein Schwert bald brauchen, Welse, wir haben Nachricht vom Feind. Die Hunde wagen sich weit vor, sind aber nur Streuner, nichts weiter. Ihrem Herrn gelingt es nicht, sie an die Kette zu legen – also werden wir ihnen ein paar Tritte verpassen.«
Er lachte laut auf. Dann, todernst und mit einer Bösartigkeit im Blick, die Marken unwillkürlich die Luft anhalten ließ, fuhr er fort: »Dern ist ein Hetzer und ein Verräter. Ein Verräter anseinem Volk, seinem Land – und seinem König. Er wird sterben. Er muss sterben! Erst wenn Dern tot ist, werde auch ich meine Augen schließen. Und wenn es noch hundert Soldern dauert!«
Dieser Mann war wahnsinnig. Ormns Gesicht hatte sich zu einer Fratze verzerrt, sein kehliges Kwothisch war das Grunzen eines wilden Tiers. Allein Smirns Übersetzung gab Ormns Rede etwas Menschliches. Wie konnte sie diese Laute überhaupt verstehen? Marken wandte sich zu ihr um. Die Unda saß reglos auf dem Rücken ihres Pferdes, hatte die Kapuze ihres Umhangs tief hinabgezogen und schaute auf ihre im Schoß gefalteten Hände. Zwischen den dunklen Fingern nahm Marken ein schwaches, weißes Leuchten wahr.
Als er sich wieder zu Ormn drehte, war der Hauptmann bereits mit ausgebreiteten Armen einer Gruppe Reiter entgegengegangen, die in wildem Galopp von einem Hügel herab auf den Stützpunkt zupreschten. Es waren fünf Männer. Kaum dass sie die Pferde angehalten hatten, sprangen sie aus den Sätteln und begrüßten den Hauptmann mit Handschlag und Schulterklopfen. Marken wurde klar, warum sie noch nicht weitergeritten waren: Auf diese fünf hatte Ormn gewartet. In jedem von Schweiß glänzenden, dunklen Gesicht blinkte eine Münze. Die Reiter waren Dhurmmets wie Ormn.
Das Licht nahm ab und färbte sich rot. Stand die Sonne schon so tief? Nein, es war immer noch früher Nachmittag. Es war der Vorhang aus Blut, der Marken den Blick zu verschleiern drohte.
»Smirn«, keuchte er, »sag mir: Wer ist Dern?«
»Der Führer der Nord-Kwother. Er will Nord-Kwothien vom Rest des Landes abspalten. So viel konnte ich bisher aus den Gesprächen der Soldaten heraushören. Er ist der erklärte Feind dieser Männer hier. Und Dern ist Silhads Sohn.«
Silhads Sohn? Der rote Schleier verzog sich. Marken fuhr sich durchs Gesicht, um ihn endgültig wegzuwischen.
» Der Silhad? Der ehemalige Heerführer der Allianz?«
»Ja. Silhad, Bruder von Horghad. Beide formten damals mit Palmon das Westliche Bündnis gegen Welsien.«
»Und diese zwei, Silhad und Horghad, leben die etwa auch noch? Warum will Dern das Land spalten? Warum dieser Bruderkrieg?«
Smirn hob den Kopf, aber ihre Augen blieben im Schatten der Kapuze verborgen.
»Ich weiß es nicht, Marken. Das Wasser schweigt.«
Ormn bellte einen heiseren Befehl zu ihnen herüber. Er war aufgesessen und auch die anderen Dhurmmets hatten frische Pferde erhalten – es ging weiter. In Markens Brust lag ein schmerzhaftes Brennen wie ein Stück glühende Kohle.
»Lass dich nicht verführen.«
Marken drehte sich wieder zu Smirn um. Sie hatte die Kapuze zurückgeschoben und ihr Ausdruck war streng.
»Schau nicht zu tief in deine eigenen Abgründe, Marken. Dies ist nicht die Zeit dafür. Besinn dich auf deine Menschlichkeit und lass dich nicht verführen, in die Niederungen zu gehen.«
Das ist ein Befehl, ergänzte Marken in Gedanken, sagte aber nichts, sondern nahm die Zügel auf.
13
Mit einsetzender Dunkelheit erreichten sie den Saum eines Waldstücks. Der Pfad führte hinein; eine blasse, leicht geschwungene Linie, die bald von schwarzem Blattwerk überwuchert wurde. Ormn ließ haltmachen – wieder waren sie schnell geritten, die Pferde dampften und mussten ausruhen. In diese Schwärze hineinzureiten wäre ohnehin kaum möglich gewesen.
Der Sohn des Hauptmanns brachte ihnen die Abendration Brottaschen. Marken konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass der Mann so viel älter aussah als sein eigener Vater. Ormn und die anderen Dhurmmets saßen ums prasselnde Feuer, aßen und redeten, ab und an schauten sie zu Welsen und Pramern herüber. Was sie sagten, kam nur als dumpfes Gemurmel bei Marken an
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