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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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den Augen des Dhurmmets. Und dieses Mal war er ganz sicher, sich nicht zu irren.
    »Dieses Wasser kann man ohne Bedenken trinken«, sagte Smirn und richtete sich wieder auf. Mehr war wohl nicht zu erwarten gewesen. Marken spürte eine milde Enttäuschung und war gleichzeitig erleichtert: Diese Quelle war keine der Zwölf, sie konnte keine sein. Flüchtig dachte Marken an Torviks Quelle, die ebenfalls tief im Wald verborgen war, in ihrer lichten, insektenumschwirrten Fröhlichkeit aber sonst nichts gemein hatte mit diesem faulig riechenden Loch.
    Er übertrug Mellon, dem zähen Pramer, die erste Wache. Die zweite wollte Marken selbst übernehmen, auch wenn er so ins Morgengrauen hinein wachen müsste. Er erwartete, kein Auge zutun zu können   – aber kaum hatte er sich zurückgelegt und zwei Atemzüge schwere, erdige Luft genommen, war Marken fest eingeschlafen.
16
    Als er erwachte, war es bereits heller, als es hätte sein sollen. Das nahm Marken nur nebenbei wahr, sein erster Gedanke und wohl auch der Grund für sein Aufwachen war Spaltung .Er hatte geträumt, wie er selbst mit seinem Schwert Land abschnitt, es war weich wie Brot. Marken war ein Riese, das Land wie gezeichnet und dennoch echt   – eine eingewobene Erinnerung an den Abend in Pram, als er sich mit dem Seguren Telden über viele, auf großen Tischen ausgebreitete Karten und Pläne gebeugt hatte. Dann stand Marken allein auf einer Insel, die er vom Rest des Kontinents abgetrennt hatte, trieb aufs Meer hinaus, und die pramschen Soldaten, Strommed und Smirn blieben an der sich entfernenden Küste und wurden immer kleiner. Spaltung .
    Ruckartig richtete er sich auf. Mellon?
    Er hätte nicht mehr als fünf Schritt entfernt stehen dürfen. Aber er war nicht da. Smirn?
    Ihr Gewand schimmerte fahl zwischen knorrigen Stämmen. Sie stand bei der Quelle wie am Bett eines kranken Kindes. Der Morgendunst legte sich als kaltes Tuch auf Markens blanken Schädel. Er sprang auf, sah auf die Schlafenden.
    Und erkannte, dass außer Mellon noch zwei Pramer fehlten. Danebs Bruder war nicht mehr da, genauso wie ein Soldat, mit dem Marken während der ganzen Zeit nicht ein Wort gewechselt hatte.
    Drei. Drei Mann weg.
    Diesmal hatten sie auch die Pferde genommen.
    »Was machen deine Männer?« Marken war außer sich, brüllte Ormn an. »Was tun deine Wachen? Schlafen die im Stehen?«
    Er packte Ormn bei der Schulter. Der Hauptmann und die anderen Kwother zäumten bereits ihre Pferde auf; der klägliche Rest von Markens Truppe stand tatenlos herum, ein Haufen verschreckter Buben. Der Anblick brachte Marken an den Rand des Wahnsinns.
    Ormn sah ihn an, mit unterdrücktem Ärger. Er schnaubte einen kurzen Satz aus und die anderen Dhurmmets lachten. Die Münzen über den Augen blinkten im Frühlicht. Marken ließ Ormn los. Hier und jetzt würden sich ihre Wege trennen. Von den Seiten her zog sich der Vorhang aus Blut zu.
    »Aufsatteln!«, keuchte Marken. »Die kommen mir nicht davon … Und wenn wir bis Gem-Enedh zurückreiten!«
    »Marken.«
    Smirn trat ihm in den Weg. Hatte wenigstens sie etwas bemerkt? Nein, sie hatte die Nacht an der stinkenden Quelle verbracht und sich ins Wasser geträumt. Sie half ihm nicht, sie war   –
    »Waffenmeister!«
    Sie legte ihm eine Hand auf den Brustschutz. Sah zu ihm auf   – und half. Marken spürte ihre Kühle, ihre Überlegenheit. Dies war keine Zeit für Stolz oder für Eigensinn. Dies war nicht die Zeit, um in die eigenen Abgründe zu schauen. Aber er kam nicht dagegen an: Mehr noch als die desertierenden Pramer machte Marken sein eigener Gesichtsverlust zu schaffen. Ormn hatte seine Leute im Griff, Marken ganz offensichtlich nicht. Er wollte weder den Hohn der Kwother noch die Feigheit, die Respektlosigkeit seiner eigenen Männer länger ertragen. Er wollte   …
    … halb skelettierte Kadaver ohne Kopf, aufgespießt auf lange Stangen. Das ist Strafe für Deserteuren. Auf Stock sitzen, sterben, langsam, sehr langsam.
    Marken schauderte. Sein schwarzer Brustschutz hatte sich mit einer dünnen Schicht Raureif bedeckt. Smirns Hand lag immer noch darauf, ihr Blick war immer noch auf Marken gerichtet. Hilf mir, flehte Marken in Gedanken und dachte weiter, in schnellen Sprüngen: Ein Bruderkrieg. Dern will Nord-Kwothien vom Rest des Landes abspalten. Spaltung. Trennung. Eine Insel im Meer, die Küste entfernt sich. Die Wege trennen sich, hier und jetzt.
    Nein.
    Denn es gab nur einen Weg, einen schmalen Pfad des Lebendigen durchs

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