Zwölf Wasser
– er hatte seine Leute angewiesen, das Nachtlager an einer Stelle einzurichten, die gerade außerhalb der Hörweite der Kwother lag. Ormn wiederum hatte seine Soldaten im Kreis um beide Lager herum postiert, was Marken das Gefühl gab, auf ungute Weise bewacht zu werden. Obwohl Smirn ihm mehr als deutlich dazu geraten hatte, konnte Marken seinen Hass auf Ormn kaum bändigen. Wie ein hitziger junger Liebhaber fühlte er sich schon von einem flüchtigen Blick provoziert – und wusste dabei nicht einmal, welche Geliebte er so eifersüchtig verteidigte. Sein Land, das nur noch Asche war? Sein Volk, das so klein war, dass man es hätte fünfmal in Gem-Enedh einziehen lassen können?
Ormns Sohn hielt den Blick gesenkt, während er die Rationen ausgab. Er wirkte erschöpft und im Feuerschein waren die Falten auf seiner Stirn schwarze Furchen. Nur bei Smirn hob er den Kopf und sah sie mit einem scheuen Lächeln an. Er murmelte etwas, sah sich dann hastig nach seinem Vater um, stellte den Korb ab und machte eine linkische Verbeugung. Dann stakste er davon und bezog seinen Posten in der sie umgebenden Dunkelheit.
»Dieser Mann dient nicht gern«, bemerkte Strommed.
»Ich übernehme die erste Wache«, sagte Marken.
Der nahe Wald seufzte in der Nacht wie unter schweren Träumen. Bis auf die beiden Brüder, die sich flüsternd unterhielten, schliefen Markens Soldaten. Der Jüngere, er hieß Daneb, löcherte den älteren anscheinend mit Fragen, wobei dem dieLider immer schwerer wurden. Die Kwother hingegen waren wach. Die Dhurmmets hockten ums Feuer, schwiegen aber nun und starrten in die Flammen. Einmal meinte Marken, die Augen eines Mannes wie bei einer Katze aufleuchten zu sehen, als der zu ihm herüberschaute. Aber es war wohl die angenähte Münze gewesen, die den Feuerschein spiegelte. Auch Marken war müde, er traute seinen Sinnen nicht recht, Schenkel und Rücken pochten dumpf vom Tagesritt. Er reckte sich, ließ den Kopf kreisen. Als er wieder zu den Kwothern sah, waren vier von ihnen aufgestanden. Sie schauten angestrengt Richtung Wald, der eine pechschwarze, dichte Wolke vor blauschwarzem Nachthimmel war. Ein Dhurmmet lehnte den Oberkörper weit vor und Marken fühlte sich an ein Raubtier erinnert, das Witterung nahm. Unvermittelt sprinteten die vier los, die Schwärze verschluckte sie sofort. Marken spürte sein Herz schlagen, war wieder hellwach. Wurden sie angegriffen? War der Feind in diesem Wald? Wie um Marken seine Unwissenheit vorzuführen, verschränkte Ormn die Arme hinter dem Kopf und legte sich zurück. Ein letzter Dhurmmet saß noch und bewachte den Schlaf des Hauptmanns, dessen Schnarchen als ein gedämpftes Knurren zu Marken drang. Smirn wanderte in der Nähe lautlos im nachtfeuchten Gras auf und ab, ihr Gewand schimmerte matt. Ob sie die davonstürzenden Kwother bemerkt hatte, war ungewiss. Sie war ganz in sich versunken und Marken vermutete, dass dies ihre Art zu ruhen war. Auch die beiden Brüder waren endlich vom Schlaf übermannt worden – niemand außer Marken hatte den nächtlichen Aufbruch bemerkt.
Bis Strommed die Wache übernahm, war nichts geschehen. Weder waren sie angegriffen worden, noch waren die vier Dhurmmets zurückgekehrt, und Ormn schnarchte nach wie vor. Aber als der Kamerad Marken nach viel zu kurzem, traumlosem Schlaf am Morgen weckte, war Daneb verschwunden.
14
Der große, breitschultrige Strommed schien geschrumpft zu sein. Er starrte an Marken vorbei in die Dunstschwaden, die als weiche, weiße Decke um die Füße der grasbewachsenen Hügel lagen.
»Ich kann es nicht erklären, Herr Offizier!«
Markens Vertrauen in den Kameraden war unerschütterlich – das hatte er zumindest immer gedacht. Aber er war so angegriffen von der Situation, von den Kwothern, den Dhurmmets, von der puren Existenz dieses Hauptmanns Ormn. Warum sollte es Strommed besser gehen? Nur weil er es nicht ansprach? Über Ängste zu reden gehörte nicht zur Ausbildung eines welsischen Soldaten.
Die Sonne schickte bereits ein erstes, violettes Licht über die Hügelkuppen und färbte die obersten Baumwipfel des Waldes ein. In der Senke, in der sie gelagert hatten, hielt sich noch die dunstige Morgenkühle. Strommeds Gesicht war grau.
»Wann sind die Kwother zurückgekommen?«
»Zurück?« Strommeds Nasenflügel bebten, als er tief Luft holte. »Es war neblig, Herr Offizier!«
Das hatte keinen Sinn. Marken winkte Danebs Bruder zu sich heran.
»Wo ist dein Bruder?«, fragte Marken und
Weitere Kostenlose Bücher