Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
Vom Netzwerk:
bemerkte Marken, dass die Pferde die Gangart verlangsamt hatten; die Tiere schnaubten und bei einigen war die Brust schaumbedeckt. Wie lange waren sie gelaufen? Marken hob den Kopf und suchte die Sonne. Es musste nach Mittag sein. Er fuhr sich durchs Gesicht   – wie hatte er sich nur in solche gewalttätigen Fantasien hineinsteigern können?
    »Marken, ist alles in Ordnung?«, fragte Smirn wieder und sah ihn forschend an. Es hatte keinen Zweck, ihr etwas vorzumachen, deshalb schüttelte er nur kurz den Kopf. Sie sagte nichts, nickte nur. Natürlich, denn nichts war in Ordnung: Die Quellen versiegten und mit ihnen alles, was einen Menschen ausmachte. Dieses Land stand vor einem Krieg mit sich selbst, es würde zerreißen. Und er, Offizier, ehemaliger Waffenmeister und heutiger Führer der Eskorte einer Hohen Frau, wünschte sich mit einer solchen Inbrunst zu töten, dass ihm am helllichten Tag ein Vorhang aus Blut die Sicht auf die Welt nahm.
12
    Sie erreichten einen Stützpunkt, der plötzlich wie ein Raubtier aus der Deckung hinter einer Hügelkuppe hervorsprang. Während sie rasteten und darauf warteten, dass frische Pferde gesattelt wurden, beobachtete Marken den Hauptmann. Er sah, wie sich Ormn mit dem Verantwortlichen besprach, auf eine für Kwother geradezu gelassene Art und Weise. Der Stützpunkt machte einen gut organisierten Eindruck und von der Nervosität, die Gem-Enedh zum Vibrieren gebracht hatte, war nichts zu spüren. Marken war seltsam ernüchtert: Hier wurde wohl überlegt und mit militärischer Kenntnis ein Krieg vorbereitet. Etwas, das Marken nie selbst getan und doch immer den Welsen zugeschrieben hatte. Er sah kwothische Soldaten auf dem Turm Wache halten, er sah sie Pferde tränken, trocken reiben und andere aufzäumen, er sah eine Patrouille eintreffen und eine andere lostraben   – er sah, dass die Kwother genau das beherrschten, dessen die Welsen sich rühmten und woran sie sich festhielten, weil sie sonst nichts hatten: Disziplin. Markens Selbstbild geriet ins Wanken. Was unterschied denn Kwother von Welsen, außer der Hautfarbe? Dass wir den letzten Krieg verloren haben, dachte Marken, und dass wir seitdem nur noch ums Überleben kämpfen. Hunger und Nichtachtung sind unsere Gegner. Dagegen sind Schwerter nutzlos und wir haben es nicht einmal bemerkt.
    Die Pferde waren bereit und Marken ließ seine Männer wieder aufsitzen. Seit er sich vor Ormn zu den pramschen Soldaten bekannt und die Beleidigungen nicht einfach hingenommen hatte, befolgten sie seine Anweisungen nicht nur prompt, sondern auch mit Respekt. Es war nur eine leichte Verschiebung im Verhalten der Männer   – ein aufmerksamerer Blick, ein konzentrierteres Hören, eine aufrechtere Haltung –, aber Marken hatte es wahrgenommen. Wäre er nicht in einer solch finsteren Stimmung gewesen, es hätte ihn vielleicht gefreut. So aber vertiefte sich sein Missmut noch, denn er war zu dem Schluss gekommen, dass diese Soldaten einem Dilettanten dienten: ihm. Ihm, der lediglich so tat, als sei er ein Offizier. Der nur in Gedanken, in wüsten Tagträumen seinem Gegner den Kopf abschlug, aber in Wirklichkeit noch nie das Schwert gegen einen anderen Menschen erhoben hatte.
    Marken war sich nicht bewusst, wie grimmig er aussah. Sein kahl rasierter Schädel war von der Sonne verbrannt, das Fehlen der Schulterplatte gab seiner Rüstung ein Ungleichgewicht und ihm etwas Verwegenes. Eine große Hand hielt die Zügel fest gepackt, die andere ruhte auf dem Schwertknauf. Die farblosen Augen waren starr auf Ormn gerichtet, die Lippen aufeinandergepresst. Marken hatte zwar gerade sein Bild von sich selbst ins Wanken gebracht, aber als Ormn zu ihm kam, bot der Welsenoffizier dem kwothischen Hauptmann nach außen hin das Gegenteil von Unsicherheit: Sehr gerade, sehr ruhig und mit entschlossen vorgerecktem Kinn im Sattel sitzend, war Marken der Inbegriff eines welsischen Soldaten. Mehr noch, er war das fleischgewordene Standbild eines Welsenkriegers aus der Zeit davor. Hauptmann Ormn musste zu Marken aufsehen und in seinen Bernsteinaugen glänzte ein Wiedererkennen. Er war anda bereits älter gewesen als der Welse heute, seine Knochen sollten längst Staub sein. Stattdessen schien selbst die kleinste von Ormns Gesten wie aufgeladen mit einer unbändigen Lebenskraft. Marken vergaß seine Zweifel, der Hass flammte wieder auf. Es war, als ob Ormns Nähe etwas in Marken entzündete: In ihm brannte Mordlust.
    Ormn sah es. Er sah und genoss es. Das war

Weitere Kostenlose Bücher