Zwölf Wasser
sein Blick sagte: Überleg dir die Antwort gut. Was hatten die beiden in der Nacht zuvor ausgeheckt?
»Nicht wissen, Herr Offizier.«
Die Sorge im Gesicht des Pramers war echt. Das erkannte Marken vor allem an der Art, wie der Mann versuchte, sie zu verbergen. Wo war der Junge?
»Das Pferd?«, fragte Marken knapp, erhielt aber nur irritierte Blicke zur Antwort.
»Ist Danebs Pferd noch da?«, knurrte er Strommed an.
»Ich … das habe ich noch nicht überprüft, Herr Offizier!«
»Dann tu es! Marsch!«
Markens Stimme hallte wie Donner durch die frühe Stille. Dann hörte er saftigen Hufschlag im taunassen Gras und ein kehliges Grollen. Ormn war zu ihnen gekommen. Anders als am Vortag saß er nun zu Pferd und sprach auf Marken herab. Smirn, die bisher zu allem geschwiegen hatte, übersetzte nicht, was der Hauptmann sagte. Es war auch nicht nötig. Ormns überlegenes Grinsen war beredt genug: Dein kleiner Soldat ist desertiert, sagte es.
Strommed kam zurück. Er rannte beinahe und neben ihm trabte das Pferd, das er am Halfter gepackt hatte. Ormn stieß wieder einige Laute hervor, dann drosch er Danebs Pferd so kräftig aufs Hinterteil, dass es erschrocken ausschlug und begleitet vom lauten Lachen des Hauptmanns davonstürmte. Auch dieses Lachen verstand Marken sehr gut, es sagte: Schau nur, wie es läuft! Es läuft weg wie dein Soldat!
Ormn schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter – Habe ich nicht gesagt, du sollst die Pramer nach Hause schicken? Sie taugen nichts, nicht deine Schuld – und Marken versuchte vergeblich, das Rot vor seinen Augen wegzublinzeln.
15
Marken kannte den Wald von Bosre, kannte gerade Stämme und hohe Kronen, das Rauschen in den Wipfeln und den Tanz von Lichtflecken auf weichem Boden. Dieser kwothische Wald aber war vollkommen anders: Stämme waren wie in erstarrtem Krampf um sich selbst gedreht und gebogen, tief hängende Äste waren wie Finger mit schmerzhaft knotigen Gelenken gekrümmt. Überall wucherte dunkelgrüner Efeu und rang in langsamem Kampf die Bäume nieder. Bliebe man nur lange genugstehen, man hätte ihr Ächzen hören können. Viele waren bereits unter der Last erstickt und zusammengebrochen; manche hatten dabei Nachbarn mit in den Tod gerissen oder verletzt. Auf den Wunden wuchsen Moose und Flechten, die keine Heilung brachten, sondern Fäulnis.
Der Weg, auf dem sie zwar immer noch zügig, aber langsamer als am Vortag ritten, war ein sehr schmaler Pfad des Lebendigen durchs finstere, stille Sterben. Marken hörte die Stimmen von Tieren – Vögel oder kleine, unter totem Laub und Efeu verborgene Raschelwesen – und jeder Ruf, jeder Schrei schien ein letzter zu sein. Wohin war der junge Daneb verschwunden? War er wirklich desertiert, wollte er zu Fuß nach Hause laufen? Obwohl vieles dagegen sprach, war das Markens erster Gedanke gewesen. Dass Ormn ebenfalls so dachte – nein, dass Marken vermutete , der Hauptmann denke wie er –, machte die Sache noch schlimmer. Ormn schlich sich in seine Gefühle und seine Gedanken. Vergiftete ihn. Marken war sich dessen bewusst, konnte aber nicht verhindern, dass Misstrauen in ihn einsickerte. Strommed war sein bester Mann. Er war sein Kamerad, und wenn man es hätte etwas großzügiger auslegen wollen, war Strommed sein Freund. Er hatte einen Fehler gemacht, war möglicherweise einen kurzen Moment nicht aufmerksam gewesen. Marken konnte ihm das nicht nachsehen. Und dass er Strommed einen Freund nennen würde, war nicht mehr denkbar. Der Einzige, der diesen Namen verdient hätte, war Felt. Aber der war weit weg und Marken wurde klar, dass er keine Freunde mehr hatte.
An diesem Abend konnten sie das Nachtlager nicht auseinanderziehen; der Pfad verbreiterte sich zwar zu einem mit hohem Gras bewachsenen Streifen, doch der bot gerade eben so genug Platz für die über zwanzig Personen und ihre Pferde. Nur wenige, aber mühsame Schritte entfernt entsprang im modrigen Unterholz eine Quelle. Das Geräusch des glucksenden Wassershatte Marken nur kurz von seiner hasserfüllten Fixierung auf den Hauptmann abgebracht – was war noch mal das Wesentliche, was war das Ziel ihrer Reise? –, als er bereits wieder die Hand um den Schwertgriff krallte. Während Smirn sich schon über das Wasser beugte, hackte Ormn noch gefährlich nah mit geübten Axtschwüngen überhängende Äste weg. Die Blicke der Männer, beide mit der Hand an der Waffe, trafen sich im Halbdunkel. Wieder sah Marken ein katzenhaftes Aufleuchten in
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