Zwölf Wasser
sondern mit ihr sich selbst gegen Strommed. Und dieses Mal drang das Axtblatt tief ein in die vorbereitete Kerbe und spaltete Strommeds Brust wie ein Scheit Brennholz. Aber der Dhurmmet war nicht nur gegen den Welsen gesprungen, der wie ein mächtiger alter Baum einfach dastand – sondern auch gegen ein Schwert, das sich ihm in den Leib bohrte.
Strommed lag auf dem Rücken. Ein kühler Hauch fuhr über ihn hinweg. Er hob den Kopf etwas an, es war mühsam. Er sah seinen eigenen, geöffneten Brustkorb und wie ein zarter Dampf daraus emporstieg in die Nacht. Er wunderte sich, denn er hatte immer noch keine Schmerzen. Ihm war nur kalt. Er beobachtete den Dampf und wie er heller wurde, deutlicher, als die Unda sich über ihn beugte, das Leuchten in den Händen. Sie lächelte ihn an, auch das war gut zu erkennen in diesem Licht, das Strommed so sehr an den Mond erinnerte. Kalt war es, aber auch still. Seltsam, ein stilles Licht, so etwas gab es nicht. Doch, dachte er, ich schaue ja geradewegs hinein.
Und das war der Moment, in dem Strommed endlich und vollständig begriff, dass er starb.
Vor Agen,
Weslan im Solder 107 tergde
Gelehrter Freund –
ich schreibe Euch mit vor Empörung zitternder Hand und auf freiem Felde: Man hat mir den Zutritt zur Stadt verweigert! Ist das zu glauben? Nun, überrascht hat es mich letztlich nicht, das muss ich der Ehrlichkeit halber sagen, die Zustände hier sind entsetzlich. Entrüstet bin ich dennoch! Nicht nur, weil ich Euren Wunsch nach weiteren Informationen nun nicht erfüllen kann – obwohl das in der Tat sehr ärgerlich ist –, sondern auch, weil es allem widerspricht, was die Seguren seit jeher hochgehalten haben. Wenn wir Gelehrte uns nicht mehr unterstützen, wenn wir untereinander nicht mehr sprechen, schreiben und, ja, auch streiten – wohin soll das führen?
Nun, mein lieber Freund, ich will Euch nicht mit meinen Klagen die Zeit rauben. Ich will Euch nur mitteilen: Mein Ehrgeiz ist geweckt. Den nächsten Besuch in Agen werde ich besser vorbereiten. Ich werde schon einen Weg hinein finden und ergründen, warum die Stadtoberen einen solch drastischen Schritt für nötig halten! Für den Augenblick bleibt mir aber nichts anderes übrig, als nach Gaspen zurückzukehren. Ich schicke diese hastigen, we nig erfreulichen Zeilen von hier aus voraus, denn ich habe den Verdacht, das Reisen wird noch mehr Zeit in Anspruch nehmen als sonst. Nun, wo Agen die Tore geschlossen hat, bin ich wahrlich nicht der Einzige, der unverrichteter Dinge wieder abziehen muss. Vor dem Tal ist ein regelrechtes Lager entstanden, die Straße ist verstopft und ein Boot stromaufwärts zu erhaschen wird schwierig werden. Was sind das nur für Zeiten! Ich bedaure sehr, dass alles nun länger dauern wird als gedacht, und hoffe inständig, dass Euch diese Nachricht erreicht. Man hat das Gefühl, die Wege sind weiter und gefährlicher geworden in Segurien und auch sonstwo. Dennoch: Ihr werdet wieder von mir lesen, sobald als möglich und mit hoffentlich besseren Neuigkeiten.
Seid vielmals und herzlich in alter Freundschaft gegrüßt von Eurem
Helgend von Gaspen
Ich sende diesen Brief nicht auf offiziellem Wege und musste dem Überbringer einen glatten Tessel in Aussicht stellen. Ich weiß, dass dies eine ungeheure Summe ist, und ich schätze, bis der Brief bei Euch in Pram angekommen sein wird, wird er oft verkauft worden sein, was den Preis noch zusätzlich in die Höhe treiben wird; ich weiß aber auch, Ihr könnt es Euch leisten. Eine Rückantwort hierauf ist jedoch nicht notwendig!
ZWEI
EIN GEFANGENER UNTER DER ERDE
1
Auf dem kargen Boden hüpften die Steine. Zuerst nur die kleineren, der zwischen stachligen Büschen über das Flachland verstreute Schotter, und Kersted bemerkte es nicht. Er hielt den Kopf gesenkt, sah die staubigen Hufe seines Pferdes, hörte den dumpfen Klang der Tritte auf der harten Erde. Dann hörte er ein Prasseln wie von dicken Regentropfen, hob den Blick – und sah die Steine hüpfen. Faustgroße Brocken sprangen auf und ab, als sei die weite Ebene eine große Trommel, geschlagen aus dem Erdinneren heraus. Der Pfadmeister straffte die Zügel in dem Augenblick, in dem das Pferd zu tänzeln begann. Das Prasseln schwoll an, wurde zu einem Grollen, in dem die Rufe und Schreckensschreie der anderen untergingen. Der rotbraune Erdboden, seltsam unscharf geworden durch die springenden Steine, verfärbte sich schillernd schwarz. Alles, was unter der brüchigen
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