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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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zur Quelle zu gelangen. Es ist der schnellste Weg.«
    Babu stöhnte auf. Er machte es sich nicht leicht; dass er sich derart verweigerte, war kein Trotz, sondern Not. Erst hatte er es versucht, war ins knöcheltiefe Wasser getreten und stur Richtung Schlucht gegangen. Weit waren sie nicht gekommen. Als der Zugang hinter einer Biegung verschwand, die steil aufragendenden Wände etwas zusammenrückten und es dämmrig wurde, war Babu erstarrt. Juhut, der bis dahin auf der Faust des Merzers gesessen hatte, war aufgeflogen und nach oben ins Licht entschwunden. Babu hatte sich nicht mehr gerührt, kaum geatmet, bis er schließlich mit einem Ruck kehrtmachte und die Schlucht im Laufschritt wieder verließ.
    Nun rang er also mit sich. Ging auf und ab, blickte zu der wie mit einem Messer gerade abgeschnittenen Felswand, die Hunderte von Manneslängen hoch vor ihnen aufragte. Tagelang waren sie gewandert, langsam die Hügel hinauf, hatten Krebse gefangen und waren wieder etwas zu Kräften gekommen. Dann hatten sie mit einem Mal vor dieser Wand gestanden, die Felt vorkam wie die zu Stein gewordene Katastrophe, die der Menschheit bevorstand: unüberwindbar groß und schicksalhaft. Aus den Hügeln des Vorgebirges erhob sich hier nicht etwa allmählich ein Höhenzug   – das Land stieg jäh mit einer gewaltigen Stufe an. Selbst ein junger und im Klettern täglich geübter Felt hätte es schwer gehabt, das Hochland zu erreichen. Ein mehr oder weniger einhändiger Felt, der die vierzig hinter sich und gerade eine lange Hungerzeit überstanden hatte, konnte dort nicht hochklettern. Er hatte kurz darüber nachgedacht, als er Babus Angst gesehen hatte, den Gedanken aber wieder verworfen. Auch der Merzer konnte es nicht schaffen und für Reva war eine derartige Klettertour ohnehin unzumutbar. Es musste so gehen, wie die Unda es sagte: nicht über das Gebirge, sondern hindurch. Sie mussten hinein in die Ubid Engat, die ungezählten Schluchten, mussten einer der von den Flüssen ins Felsmassiv gewaschenen Klüfte folgen und so das Labyrinth durchqueren, wenn sie zur Quelle der Wahrhaftigkeit gelangen wollten. Das Gebiet musste jedoch riesig sein und die Klüfte so viele, dass ungezählt es wahrscheinlich gut traf.
    »Die Ubid Engat sind den meisten Menschen des Kontinents unbekannt«, hatte Reva ins erstaunte Schweigen gesagt, in das die Männer beim Anblick der von den Schluchten eingekerbten Felswand verfallen waren. »Dort siedelt sich niemand an und es reist auch niemand hindurch. Wer will schon von den Aschenlanden zu den Schleierfeldern oder umgekehrt? Selbst wenn, würde jeder vernünftige Mensch den Eldron wählen und die Berge und Schluchten umfahren.«
    Man sah Babu an, dass er nicht zu den Unvernünftigen gehören wollte.
    »Reva, der viele Stein erdrückt mich. Anders kann ich es nicht erklären. Es ist … unmöglich. Wir müssen uns trennen   – geht ihr ohne mich weiter.«
    Nun war es an Reva, den Kopf zu schütteln. Allerdings weniger heftig, sondern vielmehr mit Nachsicht.
    »Ich weiß, Babu, wie sehr ein Merzer die Weite braucht. Aber du solltest wissen, wie sehr wir dich brauchen. Dich und Juhut. Wir können nicht ohne dich weiter, es hat keinen Sinn ohne dich.«
    Wieder stöhnte Babu, unverhohlener Ärger klang mit.
    »Versuche, das Wasser zu sehen, seine Kraft und Lebendigkeit zu fühlen   – und nicht den Stein.«Sie trat nah an Babu heran, ihre Augen waren hell. Sie lächelte und Felt begriff: Sie war voller Vorfreude. Reva war eine Unda und ihre Regungen waren ihr nur sehr selten anzusehen. Nun aber war es überdeutlich, sie wollte hinein ins Rauschen und Strömen. Und eigentlich war das nur allzu verständlich   – wenn man eben wie sie eine Unda war und nicht ein junger Mann, der in einem schier grenzenlosen, winddurchtosten Grasland aufgewachsen war.
    »Es wird gehen, Babu, das verspreche ich dir«, versuchte Reva es wieder. »Wenn du erst einmal dieses Geflecht aus tiefen Schluchten, schattigen Gängen und moosbegrünten Klüften betreten hast, wirst auch du über die Kraft des Wassers staunen.Alles dort durchströmt es, alles hat es geformt. Wenn Wiatraïn die Stadt im Wind ist, so sind die Ubid Engat die Lande des Wassers.«
    »Ich brauche Zeit«, sagte er nur.
    Die hatten sie nicht. Aber hatten sie die je gehabt? Es kam Felt zuweilen sogar so vor, als ob es von Anfang an zu spät gewesen war: Schon als sie losgingen, als sie Goradt verlassen hatten, war es nicht mehr möglich gewesen, das Unheil

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