Zwölf Wasser
die Bäuche füllen, ohne dass es schmerzt.«
Sie kauten und schluckten schweigend, jeder aß mit allergrößter Achtsamkeit zwei Handvoll der harten, süßlichen Blätter. Babu starrte dabei vor sich hin. Felt erwartete jeden Augenblick, dass der Junge aufsprang und nach dem Falken rief, ihm hinterherwollte, genau wie damals am Rande des Boirad, als Juhut durch den Steinbogen in die Wolkenstadt geflogen war. Aber das geschah nicht. Babu war bedrückt, doch besorgt wegen der Szasla schien er nicht zu sein.
»Du hast geträumt, während du weggetreten warst«, sagte Felt.
»Das war kein Traum«, sagte Babu in einem Tonfall, der kein Nachfragen erlaubte. Er erhob sich langsam, mühevoll, bis er schließlich auf noch wackligen Beinen stand.
»Dieses Kraut wirkt wirklich Wunder. Ich hätte allerdings nichts dagegen gehabt, wenn wir es ein paar Tage früher gefunden hätten.«
»Nun, wie der Name schon sagt, wächst es auf eher kargen, steinigen Böden. Nicht in einem feuchten Grasland.«
»Oh«, machte Babu nur und hob den Blick.
Lange war der Horizont nicht erkennbar gewesen, hatten der Nebel und der Hunger die Sicht immer weiter verengt und schließlich nach innen gewendet. Die Wanderer hatten deshalb nicht bemerkt, dass sie die Schleierfelder durchquert hatten. Hinter ihnen verbargen zwar Dunstschwaden die Gegend, aus der sie gekommen waren. Aber nordwärts war der Himmel wieder zu sehen und darunter ein weites, zu einer Hügelkette hin ansteigendes Land. Die Erde war bereits fest hier und deutlich trockener.
Auf dem Kamm einer Bodenwelle erschien Reva, ihr Gewand schimmerte hell im klaren Sonnenlicht und Felt kniff geblendet die Augen zu. Sie war ein Stück vorausgegangen und kam nun lächelnd und schnellen Schrittes zurück, sie lief fast.
»Ich wusste, ihr könnt es schaffen«, rief sie schon von Weitem. Sie war etwas außer Atem, als sie bei den Männern ankam, aber auf ihrem Gesicht lag ein freudiges Strahlen. Die große Erleichterung der Unda war die letzte Bestätigung dafür, wie ernst die Lage gewesen war. Und noch war das Hungern nicht überstanden: So gut das Steinmilchkraut ihnen auch tat, sie brauchten mehr Nahrung, viel mehr, um wieder zu Kräften zu kommen.
»Nehmt davon so viel wie möglich mit, stopft euch die Taschen voll. Aber dann kommt. Ich habe Wasser gefunden, einen schmalen Fluss. Er wird uns in die Ubid Engat führen, die ungezählten Schluchten. Wir sind auf dem richtigen Weg. Was euch aber sicher viel mehr interessieren wird: In diesem Fluss gibt es Krebse. Kommt, eilt euch, bevor Juhut sie euch alle wegfängt!«
6
Den Falken ins Wasser stoßen zu sehen war seltsam. Eigentlich war er ein Luftjäger, seine liebste Beute waren andere Vögel. Dann jagte er natürlich auch Tiere am Boden, vom Hasen bis zum … Wolf .
Babu fuhr sich mit den Fingerspitzen unter sein Stirnband. Da war er, der Splitter. Das Horn unter der Haut. Er zog die Hand zurück – nicht daran denken.
»Ich habe noch nie Krebse gegessen«, sagte Felt.
»Flusskrebse sind lecker«, erklärte Babu. »In guten Soldern war die Merz voll davon. Aber jetzt, wo ich davon spreche, fällt mir auf: Ich habe den ganzen letzten Lendern über im Langen Tal nicht einen einzigen Krebs gesehen.«
Er warf Reva einen Seitenblick zu. Die Unda bemerkte es nicht. Oder wollte es nicht bemerken.
Der Fluss war in der Tat sehr schmal – Felt konnte mit zwei großen Schritten von einem sandigen Ufer zum anderen gelangen –, dabei nicht besonders schnell und glasklar. Wenigstens dort, wo der Falke sich nicht ins Wasser stürzte und Schlamm aufwirbelte. Die Krebse waren grünlich-grau gefärbt, ungefähr handgroß und liefen auf insektenartigen Beinen im seichten Uferwasser über den Kies. Sie hatten einen kräftigen Schwanz, der in einem breiten Fächer endete, und für ihre Körpergröße beeindruckend mächtige Scheren. Sie waren selbst auf der Jagd, lagen auf der Lauer nach unvorsichtigen Fischchen und fraßen in der Zwischenzeit irgendwelche Pflanzenreste, die sie zwischen den Steinen fanden. Die Krebse bewegten sich langsam. Und unfassbar schnell, sobald ein Schatten aufs Wasser fiel. Dabei flohen sie nicht vorwärts, sondern rollten ihren Schwanz unter den Körper und schleuderten sich mit seiner Hilfe zurück.Eine Fluchtmethode, die Juhut anscheinend Schwierigkeiten bereitete: Der geschickte Jäger machte erstaunlich wenig Beute. Babu jedoch kannte sich aus mit der Krebsjagd, auch ohne Netz oder Kescher, und so hatten
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