Zwölf Wasser
Babu die nassen Wände berühren konnte, wenn er die Arme seitlich ausstreckte.
Er konnte den Himmel nicht mehr sehen.
Er konnte Juhut nicht mehr suchen.
Er machte noch ein paar zögernde Schritte. Nun berührte er mit den Schultern den Fels und hatte plötzlich den Eindruck, nicht er bewege sich, sondern die Steinwände kämen auf ihn zu.
An dieser Stelle musste er umkehren, er konnte nicht weiter. Würde er dennoch weitergehen, gäbe es kein Zurück mehr.Babu stemmte sich gegen den Fels und gegen seine Angst. Ein Schrei presste sich aus seiner beengten Brust. Dann, als habe er Riesenkräfte, wichen die Wände zurück, gaben seine Schultern frei, gaben den Blick frei: Über ihm strahlte hell das Auge des Himmels. Und vor Babu lagen drei Wege. Drei Möglichkeiten.
9
Felt ahnte wahrscheinlich nicht, wie grimmig er aussah. Seit einer halben Zehne hatten sie wieder zu essen – Flusskrebse und das Kraut, dessen bittersüßen Geschmack Babu inzwischen sehr zu schätzen wusste –, aber in das strenge, abgehärmte Gesicht des Welsen hatte die Nahrung keinerlei Milde gebracht. Kaum hatte Babu sich von dem runden Felsen erhoben, schickte Felt ihn mit einer Kinnbewegung voraus Richtung Klamm.
»Wäre in einer Gegend mit so viel Wasser nicht Reva die beste Führerin?«, fragte Babu und rieb über sein Stirnband. Der Kopfschmerz wurde dünnflüssiger und verteilte sich allmählich wieder im gesamten Schädel.
»Du glaubst nicht im Ernst, dass ich die Unda vorausgehen lasse in ein derart unübersichtliches Gelände. Du wirst den richtigen Weg finden.«
Felt war kein Mann, der Witze machte oder hintersinnige Andeutungen. Wenn er sagte, dass Babu einen Weg finden würde, dann meinte er das auch so. Er hatte falsche Vorstellungen von dem, was Babu mit Juhut verband. Felt aufzuklären fiel Babu aber schwer. Denn er war sich selbst nicht ganz im Klaren darüber und ahnte, dass er die wahre Natur seiner Verbindung zu der Szasla nie völlig würde ergründen können. Er hatte einen Weg gefunden, mit Juhut zu sprechen, aber dieser Weg war unsicher, schmal, schlängelte sich entlang eines Abgrunds. Auchwürde er Felt einen zu tiefen Blick in die eigene Seele erlauben, wenn er redete, und davor scheute Babu zurück. Jator hätte er es vielleicht erzählen können – dem Jator, der ein Kind gewesen war, und dem, der in seinen Armen gestorben war. Beide waren seine Freunde gewesen. Felt war das nicht. Von Felt fühlte Babu sich unverstanden, noch bevor er ihm etwas erklärt hatte. Schweigend, mit pochenden Schläfen und klopfendem Herzen, trat Babu ins Wasser und ging voraus.
Als sie an die Engstelle gelangten, die Babu vorhergesehen hatte, versuchte Felt, sich seitwärts durchzuzwängen. Das schleifende Kreischen von Stahl und Stein jagte Babu Schauer über den Rücken. Felt schob sich unbeirrt weiter, und als er endlich ins Licht trat, das von oben auf die Wegkreuzung fiel, war kein Kratzer auf dem Brustschild zu erkennen. Dieser Welsenstahl erstaunte Babu immer wieder – um wie viel härter als Babus lederne Falknerweste mochte er sein?
»Drei Wege«, sagte Felt. »Drei Möglichkeiten.«
Babu nickte, er hatte es schon gesehen, als er sich ganz in den hellen Fleck am Himmel hineingestarrt hatte.
»Rechts wird das Wasser schnell tiefer und reißend – es ist kaum möglich, gegen die Strömung anzukommen. Diesen Weg würde ich also nicht nehmen. Links entlang ist alles zuerst vielversprechend – das Flussbett recht flach und voller Krebse. Die Kluft wird sogar weiter, man kann ein ganzes Stück trockenen Fußes am Ufer gehen. Nass wird man trotzdem; tröpfeln tut es dort wie überall auch. Aber dann steht man unversehens vor einer Wand. Von oben stürzt das Wasser hinunter, aber weiter kommt man dort nicht.«
»Also bleibt nur der Weg schräg geradeaus«, sagte Felt. Diesem Weg hatte sich Reva bereits zugewandt, rührte sich aber ansonsten nicht. Es war immer bedrückend, wenn die sonst unaufhörlich sich bewegende Unda völlig erstarrte. Felt trat nah an Babu heran.
»Was ist dort, Babu?«
Babu schaute nicht hin, sondern nach oben ins Blau. Juhut war irgendwo dort, aber sehen konnte er ihn an diesem kleinen Stück Himmel nicht.
»Wenn man geradeaus weitergeht«, fuhr er schließlich zögernd fort, »ist man bald rundherum von Stein umgeben.«
»Eine Höhle also?«, fragte Felt nach.
»Ja. Sie scheint sehr groß zu sein. Dort drinnen läuft Wasser wie über eine große Treppe hinab, immer weiter
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