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Zwölf Wasser

Zwölf Wasser

Titel: Zwölf Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. L. Greiff
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hinab …«
    »Und dann?«
    Babu wandte sich brüsk ab.
    »Dann weiß ich nicht weiter. Es ist dunkel dort. Und ich bin   … umgekehrt.«
    Zurückgekehrt wäre der richtige Ausdruck gewesen; mit rasenden Kopfschmerzen zurückgekehrt auf einen runden Felsbrocken. In Gedanken war er vorausgegangen, hatte sich gegen seine Angst gestemmt und gegen den Stein. Babu hatte die Felswände an den Händen gespürt, als er die Arme ausstreckte, und an den Schultern, als er sich durch den engen Spalt quetschte. Und dann hatte er dasselbe noch mal durchlebt, gerade eben, dieses Mal in Begleitung der Unda und des Welsen.
    »Umgekehrt?«, fragte Felt, und als Babu sich wieder zu ihm umdrehte, traf ihn ein prüfender Blick aus steingrauen Augen.
    »Babu, wenn du mir nicht sagst, was mit dir los ist, kann ich auch keine Rücksicht darauf nehmen.«
    Babu schwieg. Felt legte seine große Linke, die unverletzte Hand, auf Babus Schulter und versuchte es nochmals.
    »Ich sehe das so: Wir haben ein Ziel und wir haben wenig Zeit, um es zu erreichen. Wir sind beide immer noch in schlechter Verfassung. Ich habe die Verantwortung für die Sicherheitder Hohen Frau und dem unterstelle ich alles andere   – auch dein oder mein Leben. Alles, was mir dazu dient, die Unda zu schützen oder schneller voranzukommen, das nutze ich auch. Wenn ich also auch nur den leisesten Verdacht habe, dass du mit Hilfe des Vogels einen Weg ausspähen kannst, dann verlange ich das von dir. Falls dir das Schwierigkeiten macht, musst du es sagen.«
    Er nahm die Hand weg, aber nicht den prüfenden Blick.
    »Sagst du hingegen nichts, Babu, dann nutze ich deine Fähigkeit, ohne Rücksicht und ohne dass ich weiß, was da genau vorgeht. Du bist ein Werkzeug, dessen Funktionsweise ich nicht verstehe, von dem ich aber trotzdem Gebrauch mache.«
    Ein Werkzeug? Noch bevor die Wut in Babu aufsteigen konnte, verflüchtigte sie sich schon wieder. Denn Babu begriff, dass Felt ihn provozieren wollte. Er wollte Babu dazu verleiten, sein Herz auszuschütten. Würde er einmal anfangen zu reden, gäbe es kein Halten mehr. Darauf spekulierte Felt, und hätte er es mit dem alten Babu zu tun gehabt, dann wäre er erfolgreich gewesen. Der Babu aber, der aus Wiatraïn zurück auf den Kontinent gekommen war, hatte nichts dagegen, ein Werkzeug zu sein: Er war ein Szasran, der Falkner einer Szasla, ein Werkzeug, ein Sprachrohr. Das hatte Reva gesagt und noch mehr, nämlich, dass er ein mächtiges Werkzeug sei, und was er ausspräche, könne Welten bewegen.
    Wollte er das? Wollte er diese Welt bewegen? Wäre es nicht besser, Babu würde schweigen? Er hatte sich für einen Zwischenweg entschieden: Wohin ihn seine Gedankenwanderung geführt hatte, das teilte er mit. Wie sehr es ihn erschöpfte, den Weg zwei Mal zu gehen, wie groß der Schmerz hinter seiner Stirn war und dass nur ein Splitter aus geronnenem Wolfsblut diesen Schmerz daran hinderte, Babu aus der Stirn zu brechen   – davon musste er schweigen. All das führte zu nah heran an die Stelle, wo die Rache begraben war.
    »Es geht mir gut«, sagte Babu. »Ich komme schon zurecht.«
    Felt glaubte ihm nicht, das konnte man ihm deutlich ansehen. Er unternahm aber keinen weiteren Versuch, sondern sagte nur:
    »Vielleicht gibt es in dieser Höhle ein trockenes Plätzchen, wo wir lagern können. Der Tag ist alt und wir sind für heute weit genug gegangen.«
10
    Babu hört die Stimme einer Frau. Erst glaubt er, es sei Reva, die zu ihm spricht. Aber es ist nicht Reva. Während er darüber rätselt, wer da zu ihm spricht, achtet er nicht auf die Botschaft. Und als ihm das schließlich auffällt, ist die Stimme nur noch ein fernes Flüstern. Ein Gefühl völligen Versagens überwältigt ihn, denn nun weiß er weder, wer gesprochen hat, noch, was ihm mitgeteilt wurde.
    Dann merkt er, wo er sich gerade befindet: zu Hause, im Langen Tal. Er steht auf der Ebene, im gelben Gras, über ihm erstreckt sich endlos die Weide des Großen Hirten. Als er das sieht   – das Gras, den Himmel –, ist er glücklich. Er hat nicht gewusst, wie sehr er das Tal vermisst hat und wie gut es tun kann, einfach nur dazustehen und den Wind zu beobachten, wie er die Halme biegt. Vor ihm im Gras liegt etwas und er schaut genauer hin: Es ist ein Hasenschädel. Dieser Schädel hat eine Bedeutung, aber er kann sich nicht erinnern, welche. Seine Stimmung schlägt um. Das Glück verschwindet. Von dem Schädel im Gras scheint eine Bedrohung auszugehen oder besser: Das, was er

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