Zwölfender
Farbeimer. Daneben lag ein breiter Pinsel.
Die Farbe ließ sich nicht bestimmen.
Rot, vielleicht.
Blau, vielleicht.
Schwarz, möglicherweise.
Ich schob meine Schuhe in den Rucksack, griff mit einer Hand den Eimer, mit der anderen den Pinsel und setzte meinen Weg fort.
Alle zehn Schritte tauchte ich die Borsten in die Farbe und holte zu einer weiten Bewegung aus. Manchmal vollführte ich eine Pirouette. Wie meine Schritte verursachten auch die niederprasselnden Farbspritzer einen Hall.
So ging ich lang.
Ich hörte noch, wie ich fiel.
Unter mir: mein Laken.
Um mich: meine Bücher.
Als ich aufwachte, fand ich den Schlafsack neben mir. Für einen Moment sah er aus wie ein Mensch. Ich drehte mich hinein und fühlte, wie mein Bibbern nachließ. Das war so gegen vier.
Kurz vor Sonnenaufgang hörte ich etwas. Es klang wie ein Fluchen.
Ich richtete mich auf, sah mich um und erschrak: Nur wenige Meter von mir entfernt lief ein Mädchen von etwa zehn oder elf Jahren durch die Dünen. Sie schleppte ein schlafendes Kind vor sich her, ebenfalls ein Mädchen, es mochte wohl vier oder fünf sein. Das Kind hing der Länge nach in ihrer Umklammerung, seine Füße baumelten nur knapp über dem weichen Grund und stießen ihr bei jedem Schritt gegen die Schienbeine. Immer wieder drohte sie ins Stolpern zu geraten, fing sich aber jedesmal.
Ich sprang auf und eilte den beiden entgegen.
Das Mädchen beachtete mich nicht.
Erst als ich mich vor sie stellte, blieb sie, ohne mich anzuschauen, stehen.
»Was …«, ich beugte mich zu ihr herunter, um ihren Blick einzufangen. »Wie kommst du hierher?«, fragte ich. »Ist mit deiner Schwester alles in Ordnung?«
»Das ist nicht meine Schwester«, antwortete sie tonlos und hob den Kopf.
Ihre Augen waren meine. Sie sah aus, wie ich in ihrem Alter ausgesehen hatte. Selbst der kleine Leberfleck auf der Wange war da.
»Und wer …«. Ich brachte meine Frage nicht zu Ende. Auch das zweite Mädchen war ich.
Ich trat einen Schritt zurück.
Sofort machte die Größere Anstalten, weiterzulaufen. Ich griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. Ihr Gesicht nahm einen trotzigen Ausdruck an.
»Hör mal«, riss ich mich zusammen. »Was in aller Welt habt ihr hier verloren?«
»Und du?«, fragte sie spöttisch.
»Wollt ihr nicht …«, hob ich noch an.
»Nein«, blaffte das Mädchen.
Sie riss sich fort und stapfte weiter.
In meinen Träumen schiebe ich mich jetzt jede Nacht durch Menschenmengen. Ich sehe bekannte Gesichter und erinnere die Namen nicht mehr. Ich denke Namen und erinnere die Gesichter nicht mehr. Dann beschleunige ich, streife Körper und Hecken, lese laufend Steine auf und versenke sie in den Hosentaschen, bis meine Beine den Dienst versagen und einknicken.
13
Ich lief, prüfte die Daten auf dem gps , lief, prüfte, lief, rief kurz bei Nik und Laura an und bat sie, am nächsten Tag meine Reisetasche zu unserem Treffpunkt mitzubringen. Sie erklärten sich bereit, mich von dort aus nach Antofagasta zu fahren.
Ich lief, sah fast nichts, lief, dachte nichts, lief und prüfte, sah sonst nichts, dachte sonst nichts. Nur manchmal den Satz: »Man muss sich einfach verlassen.«
Ich fühlte, wie der Rucksackgurt an meinen Hüften scheuerte. Auch meine Fußknöchel taten mir weh, aber es war nur ein leichter Schmerz, wie ein Muskelkater.
Ich steuerte durch ein von mir selbst vorgegebenes Koordinatensystem und erinnerte mich kaum mehr an das, was vorher gewesen war. Von den schmerzhaften Stellen an meinem Körper abgesehen, ging ich über in die Landschaft, die mich umgab.
Keines der von Laura angekündigten Autos kreuzte meinen Weg. Ich war allein. Nichts hielt mich davon ab, über mich selber nachzudenken, und nichts regte mich dazu an.
Am dritten Morgen stand ich auf, schaltete das gps ein und prüfte meine Strecke.
In den vergangenen Tagen und Nächten war ich so weit gewandert, dass mich nur noch 10 Kilometer von dem vereinbarten Treffpunkt mit Nik und Laura trennten.
Ich rollte meinen Schlafsack zusammen, zog den letzten vollen Wasserbeutel aus dem Rucksack und warf ihn über mein Gepäck.
Ich öffnete den Verschluss und hielt beide Hände unter das nachtkühle Wasser, um mich zu waschen.
Dann sagte ich etwas.
Vielleicht sagte und sang ich etwas, mich meiner Stimme versichernd.
Vielleicht sagte und sang ich so etwas wie »ja gut« und »danke.«
Genau weiß ich es nicht mehr.
Dann lief ich weiter in die festgelegte Richtung, als
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